© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/06 13. Oktober 2006

Gebetsmarsch
Abtreibung: Lebensschützer demonstrieren in München
Claudia Hansen

Was ist denn da los? Passanten bleiben stehen und schauen ratlos auf den langen Zug von Demonstranten, die weiße Holzkreuze tragen. "Ja, ist denn wer gestorben?" ruft eine ältere Frau. Polizeifahrzeuge schirmen die Demonstranten ab, die von der Münchner Freiheit langsam Richtung Innenstadt ziehen. Die Kreuzträger singen und beten - für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder. Etwa eintausend Kinder, so die Veranstalter, werden in Deutschland an jedem Werktag abgetrieben. In der vordersten Reihe geht eine junge Schwarze, sie hält ein großes Plakat mit dem Foto eines Embryos. "Papa, ich bin ein Junge", steht darauf.

Wie in Berlin vor zwei Wochen (JF 40/06) fand vergangenen Samstag nun auch in München ein "1.000-Kreuze-Marsch" statt. Organisator war das Lebenszentrum, eine vom Liedermacher Wolfgang Hering gegründete Organisation, die schwangeren Frauen in schwieriger Lage helfen möchte, ihr Kind nicht abzutreiben. Dazu gehen die zumeist katholischen Mitarbeiter bewußt vor Abtreibungskliniken und sprechen Frauen auf dem Gehsteig an. Für Notfälle haben sie eine Wohnung, auch finanziell greifen sie den Frauen unter die Arme. Seit Gründung des Lebenszentrums vor sechs Jahren haben die "Gehsteigberater" nach eigenen Angaben schon rund 300 Schwangere auf dem Weg in eine Abtreibungsklinik zur Umkehr bewegen und deren ungeborene Kinder retten können.

Der mehrere hundert Meter lange Demonstrationszug, der über die Leopold-, später Ludwigstraße heruntergeht, darf nur eine Fahrbahn nutzen. Daneben rollt der Verkehr weiter, doch die weißen Kreuze, ein großes Transparent "1.000 ungeborene Kinder pro Tag" und die christlichen Gesänge erregen Aufmerksamkeit. Viele Passanten gaffen. "Wo sind die denn gegen?" fragt ein kleines Mädchen seine Mutter. Die zuckt nur die Schultern. "Ist ja wie zur Zeit der Kreuzzüge", schimpft ein jüngerer Mann und wendet sich ab. Etwas weiter löchert ein Junge, etwa fünf Jahre alt, seine Mutter mit Fragen: "Mama, was heißt denn das, 'abtreiben'?" Sie antwortet: "Das ist, also, wenn man schwanger ist, aber das Kind nicht will." Darauf der Sohn: "Und wo gibt man es dann hin?" Die Mutter geht nicht ins Detail. Letztlich müßten "die Menschen das selbst entscheiden, ob sie ihr Kind wollen oder nicht".

Einige Demonstranten am Rande des Gebetsmarschs versuchen, die Passanten ins Gespräch zu verwickeln. Man möchte niemanden anklagen oder verurteilen, versichert eine ältere Frau, die lindgrüne Faltzettel verteilt. Auf diesen erklärt das Lebenszentrum neben der Trauer um die Abgetriebenen: "Wir beten für die Mütter und Väter, für die Abtreibungsärzte und deren Personal."

Auch für Friedrich Stapf beten sie also, den bekanntesten Abtreibungsarzt Deutschlands. Seit Beginn seiner Tätigkeit hat der Münchner Mediziner einen traurigen Rekord aufgestellt: Schon mehr als 100.000 ungeborene Kinder hat Stapf seit den späten siebziger Jahren abgetrieben, etwa 4.000 sind es jedes Jahr. Jüngst wollte er gerichtlich die Gehsteigberatung des Lebenszentrums vor seiner Klinik verbieten lassen, scheiterte aber in der ersten Instanz und geht nun in Berufung (JF 33/06).

Der Demonstrationszug ist inzwischen am Odeonsplatz angekommen. Alle versammeln sich vor der Kirche, die im Volksmund Theatinerkirche genannt wird, offiziell aber St. Kajetan gewidmet ist, einem der Schutzpatrone Bayerns. Zu diesem Heiligen beten fromme Katholiken, die sich ein Kind wünschen. So rief auch der bayerische Kurfürst Ferdinand Maria vor 350 Jahren St. Kajetan an - und als ihm ein Sohn, Max Emanuel, geboren wurden, baute er zum Dank die frühbarocke Kirche, an deren Fassade kleine steinerne Engel turnen. "Jedes Baby ist ein Engel auf Erden", sagt Liedermacher Wolfgang Hering. "Als Gott zu uns Menschen kam, ist er als Baby in diese Welt gekommen." Sein Anliegen, so Hering, sei es, die Herzen der Menschen zu erreichen: "Bitten wir um Barmherzigkeit für diejenigen, die die ungeborenen Kindern noch nicht lieben."


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