© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/06 13. Oktober 2006

Der Wahnsinn hat Methode
Nordkorea: Pjöngjang feiert den ersten Atombombenversuch und der Rest der Welt zeigt sich entsetzt
Albrecht Rothacher

Wie immer, wenn er sich in internationalen Krisensituationen unbeachtet fühlt, stößt Nordkoreas Diktator Kim Jong-il wüste Drohungen aus. Nordkorea werde seine Atombomben öffentlich testen, um offiziell zur achten Atommacht der Welt aufzusteigen, hieß es diesmal seit geraumer Zeit. Gesagt, getan. Anfang der Woche feierte die amtliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA den erfolgten Atomtest als "großen Sprung" hin "zum Aufbau einer großen, mächtigen und wohlhabenden sozialistischen Nation".

Doch ob das "historische Ereignis" dazu beiträgt, "den Frieden und die Stabilität auf der koreanischen Halbinsel und in der umliegenden Region zu verteidigen", darf bezweifelt werden. Südkorea bestätigte sein politisches Credo, kein nuklear gerüstetes Nordkorea dulden zu wollen. Japans neuer Premier Shinzo Abe nannte den Test "unverzeihlich". Moskau sprach von einer "äußerst beunruhigenden Entwicklung" und die USA von einer "Provokation".

Der Wahnsinn hat Methode. Bereits im August drohte Kim angesichts südkoreanisch-amerikanischer Routinemanöver, er werde wegen dieser Provokation das Waffenstillstandsabkommen von 1953 aufkündigen. Im Juli ließ er acht Raketen in internationale Gewässer abfeuern, darunter eine Langstreckenrakete vom Typ Taepodong 2, die mit 6.000 Kilometer Reichweite Alaska hätte erreichen können, jedoch nach 40 Sekunden an der russischen Küste ins Japanische Meer plumpste.

Der Uno-Sicherheitsrat soll nun unverzüglich handeln. Und die USA stehen in dem Konflikt scheinbar nicht allein. Auch China ist über die Unbotmäßigkeit seines koreanischen Bundesgenossen sehr verärgert und sieht den Frieden und die Stabilität in der Region bedroht. Bis dato hatte Peking allerdings immer Sanktionen abgelehnt.

Diese Politik ist nun gescheitert. Bei der bevorstehenden Destabilisierung der Region sieht sich Japan derweil mehr und mehr gezwungen, selbst Atomwaffen zu entwickeln. Nichtsdestotrotz galt ein nordkoreanischer Atomversuch nur als eine Frage der Zeit. Bis zu zehn Plutoniumbomben soll das Regime besitzen, möglicherweise auch schon solche aus angereichertem Uran. Kim Jong-il wählte den Zeitpunkt, der ihm die höchste Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit versprach, und zeigt sich siegessicher. Denn auch Sanktionen können ihn nicht schrecken, Verhandlungen und die Geldgeschenke des Südens können ihn nicht locken.

Derzeit noch keine ernsthafte Gefahr für die USA und Japan

Kim Jong-il wird oft als Wahnsinniger dargestellt, der sich mit Hilfe von Alkohol und Aktionsfilmen an Allmachtsphantasien berauscht. Das ist ein Teil der Wahrheit. Andererseits ist er ein kaltblütiger hochintelligenter Stratege, der in der gewaltsamen Erpressung des Rests der Welt die einzige Chance für das Überleben seines Regimes sieht. Könnte er die Welt nicht mit Raketen und Atomwaffen und Seoul, die Hauptstadt des Südens, mit einem Artillerieüberfall aus 13.000 verbunkerten Geschützrohren bedrohen, kein Hahn würde nach dem halbverhungerten Armenhaus ohne Energieressourcen krähen.

Die von den USA betriebenen Sanktionen vom Juli 2006, an denen sich erstmals auch China beteiligt, treffen durch die Einschränkung des Handels und der Devisenbeschaffung, die das Rüstungsprogramm finanzieren, auch die privilegierte Nomenklatura Pjöngjangs. Systematisch werden auf US-Druck internationale Bankverbindungen eingefroren. Selbst im chinesisch kontrollierten Macao wurde eine ihrer Geldwaschanlagen trockengelegt. Japan fror die Überweisungen der im Lande lebenden 600.000 Nordkoreaner ein, die dort die Pachinko-Spielhöllen kontrollieren, und beendete den Flug- und Fährverkehr.

Doch wie gefährlich ist Nordkorea wirklich? Mit 1,2 Millionen Mann unter Waffen und 7,7 Millionen Reservisten hat es eine der größten Armeen der Welt. Seine Luft- und Panzerwaffe hat bestenfalls Schrottwert. Auch die Marine hat gegen die Seestreitkräfte Südkoreas, Japans und der 8. US-Flotte keine Chance. Was bleibt, wäre ein massiver Artillerie- und Raketenüberfall auf die 60 Kilometer von der Waffenstillstandslinie gelegene Acht-MillionenMetropole Seoul.

Die Mittel- und Langstreckenraketen, mit denen Kim Japan und die USA bedrohen will und die er so wie bisher seine Nodong-Kurzstreckenraketen gerne in die arabische Welt exportieren möchte, sind wegen technischer Probleme keine ernsthafte Bedrohung. Selbst nach dem Atombombentest ist der Weg der Miniaturisierung, bis sie in einen Raketenkopf passen, noch ein sehr langer. Für die USA aber stellt sich die Frage, ob sie so lange warten wollen, bis Nordkorea für ihre Westküste wirklich gefährlich geworden ist.

Foto: Südkoreaner protestieren gegen Staastchef Kim Jong-il: Artillerie- und Raketenüberfall auf Seoul?


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