© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/06 20. Oktober 2006

Auf dem Weg zum Stillstand
Österreich: Erste Vorgespräche zwischen SPÖ und ÖVP lassen langwierige Koalitionsverhandlungen erwarten
Michael Howanietz

Das Ergebnis der Nationalratswahl vom 1. Oktober widersprach in mehrfacher Hinsicht den Erwartungen (JF 41/06): Trotz Stimmenverlusten wurde die oppositionelle SPÖ mit 35,3 Prozent stärkste Partei. Die ÖVP von Kanzler Wolfgang Schüssel stürzte auf 34,3 Prozent ab, die Grünen wurden mit 11,05 Prozent Dritte, die FPÖ mit 11,04 Prozent viertstärkste Kraft. Das Debakel der ÖVP, das von Ex-FPÖ-Chef Jörg Haider gegründete Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) sowie voreilige Festlegungen wie Ausgrenzungen (von FPÖ und BZÖ) erschweren die Regierungsbildung. Auch die Jubelmienen der Sieger wandeln sich allmählich zu langen Gesichtern.

Der von den Medien als zweiter Wahlsieger gefeierte Grünen-Chef Alexander Van der Bellen muß wohl seinen dritten Anlauf zu einer Regierungsbeteiligung als gescheitert betrachten. Rot-Grün verfügt mit 89 von 183 Sitzen - wegen des knappen Einzugs der FPÖ-Abspaltung BZÖ (4,1 Prozent/7 Mandate) - über keine regierungsfähige Mehrheit. Schwarz-Grün, was 2002 noch möglich gewesen wäre, hat mit 87 Sitzen noch weniger Rückhalt. Eine Dreier-Koalition einer Großpartei mit FPÖ und Grünen scheitert vor allem an den tiefen ideologischen Gräben zwischen der rechtskonservativen FPÖ und den weit links stehenden Grünen. Das BZÖ wäre zwar eher "vermittelbar", doch der Name Haider wirkt immer noch als "rotes Tuch" für Rot-Grün.

Nicht den Wahlverlierer in den Kanzlerstuhl hieven

Theoretisch möglich wäre eine bürgerliche Dreierkoalition aus ÖVP, FPÖ und BZÖ, die Schüssel und der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) am Wochenende nicht dezidiert ausgeschlossen haben. Eine Minderheitsregierung der ÖVP-BZÖ unter Duldung der FPÖ sei aber ein "Notkonstrukt". Die FPÖ von Heinz-Christian Strache lehnt eine Zusammenarbeit mit den FPÖ-"Verrätern" des BZÖ ab. Eine Koalition mit der ÖVP sei nur denkbar, wenn deren Verhandlungsführer nicht Wolfgang Schüssel heißt: "Es ist unwahrscheinlich, daß wir den großen Wahlverlierer in den Kanzlerstuhl hieven", meinte FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky. "Nur wenn die komplette Schüssel-Mannschaft in die politische Pension geht", könne man sich Gespräche bezüglich einer Zusammenarbeit vorstellen.

Zwar ist vorstellbar, daß Schüssels Tage an der ÖVP-Spitze in Bälde gezählt sein könnten. Alternativen wie der aktuelle Agrarminister Josef Pröll wurden bereits ins Spiel gebracht. Doch die könnten sich ebensogut als vergängliche Nachwehen eines für ÖVP-Funktionäre ernüchternden Wahltages erweisen. Angesichts dessen scheinen SPÖ und ÖVP auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet, um solide Mehrheiten und Stabilität zu garantieren. Eine Neuauflage der ungeliebten Großen Koalition (1987 bis 1999) scheint daher vorerst unausweichlich.

Doch die Verhandlungen dürften schwierig werden. Besonders SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer, der die Kanzlerschaft in greifbarer Nähe wähnt, muß inhaltlich stark zurückstecken. Denn die aus vollmundigen Wahlversprechen resultierenden Vorgaben und die nunmehr geforderte Kompromißbereitschaft sind schlicht unvereinbar. Seine Parteistrategen sind bereits eifrig dabei, in allen Hauptstoßrichtungen des SPÖ-Wahlkampfprogramms zurückzurudern. Der als inakzeptabel teuer apostrophierte Ankauf von 18 "Eurofightern" ist keine Koalitionsfrage mehr. Auch die noch vor Monatsfrist vehement geforderte Abschaffung der Studiengebühren sowie das jahrelang proklamierte Ideal der Gesamtschule scheint nun "verhandelbar". Die ÖVP nutzt indes ihre Stärke: sie hat im Gegensatz zur SPÖ auch andere theoretische Koalitionspartner und keine Angst vor Neuwahlen. Seinen Sturz vom Kanzlerthron habe Schüssel zur Trotzreaktion des "schlechten Verlierers" verleitet, ärgern sich die Genossen.

Der Wähler ließ die Richtungsfrage offen

Doch der abgewählte Kanzler läßt aus dem Schmollwinkel verlauten, er halte am bestehenden Schulsystem und den umstrittenen Studiengebühren ebenso fest wie er eine Stornierung des Eurofighter-Vertrages rundweg ablehne. Solche Beharrlichkeit ist ungewöhnlich für den einstigen "Wendekanzler" von 2000, dessen Sprunghaftigkeit in Sachen EU-Verfassung und EU-Beitritt der Türkei ihm später den Beinamen "Wendehalskanzler" eintrug.

Am 10. Oktober hat Bundespräsident Heinz Fischer seinen Parteikollegen Alfred Gusenbauer mit den Regierungsverhandlungen betraut. Sollten diese in den genannten Kardinalfragen zu gemeinsamen Antworten führen, harrt eine Vielzahl weiterer, einander diametral entgegenstehender Wahlkampfpositionen der nachträglichen Aufweichung. Auch das ist aber ohne Vergrämung der jeweiligen Stammwählerschaft nicht denkbar.

Das politisch interessierte Österreich stöhnt daher in der Erwartung langer, mühseliger Koalitionsgespräche. Mit Ausnahme von Wirtschaftsverbänden und Sozialpartnern hält sich die Begeisterung ob der zu erwartenden, mit Lähmung und Stillstand assoziierten Regierungskonstellation in überschaubaren Grenzen. Das abschreckende deutsche Beispiel aus Berlin macht auch in Wien Schule. Der Wähler läßt die Richtungsfrage offen, um mit der manifestierten Parität alsbald ganz und gar nicht mehr einverstanden zu sein.

Großkoalitionäre Paralyse, im inszenierten Richtungsstreit neutralisierte Positionen oder "Reformstau" werden befürchtet. Oder mit des Volksmundes launigen, der unterstellten Trägheit der Beamtenschaft zugedachten Worten: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Ein Spiel als Stehkader. Aber: ein Spiel im Wählerauftrag.

Foto: Wahlsieger Gusenbauer (l.) mit Noch-Kanzler Schüssel (r.): Großkoalitionäre Paralyse droht


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