© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/06 20. Oktober 2006

Einer verrückter als der andere
Gewalttätiger Berserker und sensibler Künstler: Der genialische Schauspieler Klaus Kinski wäre achtzig geworden
Michael Hofer

Zuerst", brüllt Klaus Kinski mit seiner markerschütternden Stimme ins mit beiden Händen umklammerte Mikrophon, "entferne den Balken aus deinem Auge - und dann sieh zu, wie du den Splitter aus meinem Auge ziehst!" Im Hippiehemd, mit wirren langen Haaren und irrsinnigem Glitzern in den Augen rezitiert er das Neue Testament, jeder vor Prophetenzorn vibrierende Zoll ein Künstler-Messias, der gekommen ist, das Schwert zu bringen. Messias? "Ich glaube, er ist es nicht," ergreift ein beherzter Zuschauer das Wort. "Christus war duldsam, wenn ihm einer widersprochen hat, hat er nie gesagt, halt die Schnauze!" Kinski reißt das Mikrophon an sich und schmettert: "Er hat nicht gesagt, halt die Schnauze, er hat eine Peitsche genommen und ihm in die Fresse gehauen! Das hat er gemacht! Du dumme Sau!!!"

Mit diesen Dokumentaraufnahmen aus dem Jahr 1971 beschwor Werner Herzog zu Beginn seiner Hommage "Mein liebster Feind" (1999) das "Image" Klaus Kinskis als genialisch tobender Egomane. Enden ließ er den Film mit einer komplementären Dokumentarszene, in der Kinski in einer Drehpause zu "Fitzcarraldo" (1981) ungewohnt friedlich und glücklich lächelnd mit einem tropischen Falter spielt. Der exzentrische Schauspieler war stets beides: ein unkontrollierter, zur Gewalt neigender Berserker ebenso wie ein sensibler Künstler, dessen Rollenspiel sich auch jenseits von Bühne und Leinwand fortsetzte.

Da gab es Kinski, die Gottesgeißel und den Schrecken jedes Regisseurs und Talkshow-Gastgebers; Kinski, den leidenden und unverstandenen Künstler in Christus- oder Fürst-Myschkin-Pose; und Kinski, den Autor zweier quasi-pornographischer "Autobiographien", den unersättlichen Sex-Maniac, der behauptete, mit seiner eigenen Mutter und Schwester geschlafen zu haben, und dem man ein Verhältnis mit Tochter Nastassja nachsagte.

Da war Kinski, der Choleriker, dessen Wutanfälle ganze Zimmereinrichtungen pulverisierten und der mit scharfer Munition auf Filmstatisten schoß. Es gab Kinski, den professionell geschulten Sprachkünstler, der ein gewaltiges Schallplattenwerk mit Lesungen von Klassikern der Weltliteratur, unter anderem Villon, Büchner, Nietzsche, Rimbaud und Goethe hinterlassen hat.

Dann wieder gab es den Comic-Strip-Schurken Aberdutzender billig heruntergekurbelter Horror-, Sex- und Gewaltfilme, in denen er etwa als Edgar Allan Poe, Jack the Ripper oder Marquis de Sade zu sehen war. Vor allem aber in Erinnerung bleiben wird Kinski als der Gestalter der düsteren Außenseiterfiguren Werner Herzogs: Aguirre, Nosferatu, Woyzeck, Fitzcarraldo und Cobra Verde.

Erst Werner Herzog schlug Kapital aus Kinskis Talent

Nikolaus Nakszynski, der sich später Klaus Kinski nannte, wurde 1926 im westpreußischen Zoppot in armseligen Verhältnissen geboren. Die Familie zog 1931 nach Berlin, wo sich Klaus schon früh mit Gelegenheitsarbeiten durchschlagen mußte. 1944 wurde er zur Wehrmacht einberufen und geriet in britische Kriegsgefangenschaft. Sein Filmdebüt gab Kinski 1948 in dem KZ-Drama "Morituri".

Ein erster Skandal ereignete sich bereits 1949, als er mit Cocteaus Monolog "Die menschliche Stimme" auftrat - einer Frauenrolle. 1950 folgte ein längerer Aufenthalt in einer Nervenklinik. Nach einer kleinen, aber markanten Rolle in Laszlo Benedeks "Kinder, Mütter und ein General" (1954) hatte er seinen ersten typischen Filmauftritt als der umnachtete Prinz Otto in Helmut Käutners "Ludwig II." (1954).

Bald war Kinski auf Bösewicht-Rollen festgelegt, und in dieser Funktion wurde er Stammgast der Edgar-Wallace-Serie der 1960er Jahre. Dieses type-casting machte ihn auch zum beliebten Darsteller in zahllosen Italo-Western.

Es war aber auch Kinskis eigene Disziplinlosigkeit, die ihn über Jahrzehnte kaum aus den Niederungen des Trivialfilms aufsteigen ließ: Angebote von Cineasten wie Fellini, Visconti oder Pasolini verliefen sich oder wurden von ihm ausgeschlagen. Es blieb meistens bei Nebenrollen wie in David Leans "Dr. Schiwago" (1965). Hin und wieder entstanden Kultfilmperlen wie der frühe Serienkillerfilm "Der rote Rausch" (1962), Sergio Corbuccis Schneewestern "Leichen pflastern seinen Weg" (1969) oder Andrzej Żuławskis Melodram "Nachtblende" (1974).

Wirkliches künstlerisches Kapital verstand erst der damals 28jährige Werner Herzog aus Kinskis Talent zu schlagen: "Aguirre, der Zorn Gottes" (1972), unter wahnwitzigen Bedingungen im südamerikanischen Dschungel gedreht, zeigte Kinski als besessenen Conquistador, der an seinen verstiegenen Träumen zugrunde geht. Der schauspielerische Triumph wurde dadurch getrübt, daß er sich weigerte, die Synchronisation des Films zu übernehmen - so muß man einen seiner besten Filme ohne die unverwechselbare Stimme genießen.

In Herzogs Murnau-Remake "Nosferatu - Phantom der Nacht" und der Büchner-Verfilmung "Woyzeck" (beide 1978) war Kinski nicht minder eindrucksvoll. Das Verhältnis der kongenialen Monomanen begann bereits in "Fitzcarraldo" (1981) zu bröckeln. Die Dreharbeiten zu diesem Film, die mehrere Menschen das Leben kosteten und an deren Ende Regisseur und Hauptdarsteller wechselseitige Mordabsichten hegten, sind längst Legende geworden. Der Nachzügler ihrer Zusammenarbeit, "Cobra Verde" (1987), war nur noch ein Abglanz der früheren Meisterwerke.

Außer einer Nebenrolle in Billy Wilders Komödie "Buddy, Buddy" (1981) trat Kinski nur noch in belanglosen Schundproduktionen auf. 1987 realisierte er sein langjähriges Wunschprojekt "Paganini". Der Film wurde zur konfusen Personality-Show: Kinski übernahm die Titelrolle, schrieb das Drehbuch, führte Regie, produzierte und besetzte seine halbe Familie. Das geplante Ego-Monument wurde ein finanzielles und künstlerisches Desaster. Es sollte bis 1999 dauern, bis der Film endlich in deutschen Kinos zu sehen war, herausgebracht im Ein-Mann- (und Ein-Film-) Verleih eines enthusiastischen Fans.

Im selben Jahr erschien auch die Abschieds-Doku "Mein liebster Feind" (1999), mit der Werner Herzog nicht nur dem Kinski-Mythos, sondern auch sich selbst ein Denkmal setzte. Am 18. Oktober wäre das enfant terrible des europäischen Kinos achtzig Jahre alt geworden.

Foto: Klaus Kinski und Regisseur Werner Herzog (l.) bei Dreharbeiten zu dem Film "Cobra Verde" (1987): In inniger Haßliebe verbunden


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