© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Bedingt politikfähig
BND: Ein Auslandsgeheimdienst kann nur so gut sein wie die Außenpolitik des Staates, dem er dient
Michael Paulwitz

Jeder souveräne Staat braucht einen Auslandsgeheimdienst. Wozu, das sagt in Deutschland das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND) von 1990 mit der gebotenen Klarheit: Die Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für Deutschland sind. Während gegen die eigenen Bürger operierende Inlandsgeheimdienste wie der Verfassungsschutz rechtsstaatlich fragwürdig und in westlichen Demokratien ohne totalitäre Vergangenheit weitgehend unbekannt sind, ist die Notwendigkeit der Auslandsaufklärung unbestreitbar: Souveränes staatliches Handeln bedarf einer eigenständigen Informationsgrundlage aus erster Hand.

Ob freilich gerade der Bundesnachrichtendienst (BND), zu dessen neuer Zentrale in Berlin jetzt der erste Spatenstich vollzogen wurde, diese zu liefern vermag, durfte von Anbeginn an bezweifelt werden. Der deutsche Auslandsgeheimdienst wurde nicht als Instrument eines souveränen Staates geschaffen, sondern als Operation des US-Geheimdienstes CIA zur Nutzbarmachung der wertvollen Kenntnisse und Fähigkeiten ehemaliger Wehrmachtsfachleute. Als die Organisation Gehlen 1956 als Bundesnachrichtendienst von der Bundesregierung übernommen wurde, traten seine Agenten wieder nicht in den Dienst einer souveränen Macht. Kaum zufällig erhielt der BND erst nach der Wiedervereinigung eine gesetzliche Grundlage.

Daß während der deutschen Teilung die Aufgabenstellung von den Amerikanern bestimmt wurde, war nur folgerichtig. Auch die westdeutsche Außenpolitik richtete sich in jenen Jahren ja an US-Interessen aus. Jede deutsche Regierung zwischen 1949 und 1990 setzte die Westintegration über nationale Interessen, die Wiedervereinigung inbegriffen. Die Prioritäten des BND lauteten daher bis 1990 "DDR, DDR und nochmals DDR" (SPD-Kanzleramtsminister Ehmke) - freilich nicht im Sinne einer nationalen Wiedervereinigungsstrategie, sondern als Frontstaatsaufklärung in treuer Erfüllung der Bündnispflicht, mit mehr Fehlschlägen als Erfolgen. Doch gerade wenn der BND seine Aufgabe vorbildlich erfüllte wie bei der Vorhersage des Berliner Mauerbaus, wußte die Politik mit den gelieferten Informationen wenig anzufangen.

Das Desinteresse der politischen Klasse an der Auslandsspionage als Werkzeug der Politik spiegelt sich in Helmut Schmidts überheblichem Urteil, die Lageanalysen des BND habe er meist schon aus der Zeitung gekannt. In Pullach wiederum zog man sich ins Bürokratisch-Selbstreferentielle zurück, perfektionierte die von Gründervater Reinhard Gehlen eingeführte Geheimniskrämerei und versuchte sich mit wechselndem Erfolg auf dem afrikanischen Kontinent und in Asien in Nebenaußenpolitik abseits der engen Vorgaben des offiziellen Bonn.

Ob in Südafrika oder Mosambik, Nigeria, Taiwan oder Afghanistan - stets operierte der BND als Juniorpartner oder mit Rückendeckung von CIA und USA. Der gute Ruf Deutschlands etwa in der arabischen Welt verschafft den BND-Agenten bisweilen sogar Informationsvorsprünge; da sie aber anders als die Akteure der meisten westlichen Geheimdienste kaum praktisch ausgebildet werden, stoßen sie freilich schnell an ihre Grenzen.

Auch nach der Wende blieb der lange Arm der USA im Spiel. Das Unterlaufen des einseitigen UN-Waffenembargos zugunsten des um seine Unabhängigkeit kämpfenden Kroatien Anfang der Neunziger hätte durchaus eine Erfolgsgeschichte werden können, hätte die deutsche Politik das so erworbene Vertrauenskapital nicht im Tauziehen um den EU-Beitritt des neuen südosteuropäischen Staates bedingungslos der Unterordnung unter britisch-französische Europainteressen wieder geopfert.

Der Fall zeigt exemplarisch, daß offensichtlich weder der BND noch die Bundesregierung in den Nachwendejahren eine Vorstellung davon entwickelt haben, was sie mit den neugewonnenen Spielräumen anfangen sollen. Das dilettantische Agieren des Auslandsgeheimdienstes auf Sinnsuche im Machtvakuum führte zu einer Reihe peinlicher Affären - der 1995 von offenbar profilneurotischen Agenten eingefädelte Plutoniumschmuggel und die wiederholte systematische Bespitzelung deutscher Journalisten sind noch gut in Erinnerung.

Aus purer Verlegenheit ließ man den BND sich zudem mit fachfremden Aufgaben wie dem Kampf gegen Geldwäsche und Drogenschmuggel oder der Islamistenjagd beschäftigen; Aufgaben, mit denen der im Inland operierende Verfassungsschutz weit besser beauftragt wäre als mit der Bespitzelung unliebsamer politischer Konkurrenten oder Zeitungen.

Manch heißes Eisen blieb darüber liegen. Dazu gehört die ausufernde internationale Wirtschaftsspionage, mit der der BND sich zwar selbst nicht aktiv beschäftigen darf, bei deren Abwehr ihm aber ebenfalls die Hände gebunden sind. Die Staatsräson gebietet hier durchaus, den rechtlichen Rahmen für Gegenmaßnahmen zu schaffen und den eigenen Diensten mehr Handlungsfreiheit zu geben, um notfalls auch dem "großen Bruder" Paroli bieten zu können.

Staatenpolitik ist Außenpolitik, und ein Auslandsgeheimdienst wie der BND braucht klare Aufgabengebiete und darf sich weder in fachfremden Nebensächlichkeiten verzetteln noch bei dem Versuch, überall in der Welt ein bißchen mitzumischen. Sonst läßt er sich in der Tat durch Zeitunglesen und CNN ersetzen. Ein Auslandsgeheimdienst muß Schwerpunkte in den Regionen und Räumen bilden, in denen die geopolitischen und strategischen Hauptinteressen des Staates liegen, und diese intensiv durchdringen. Dasselbe gilt für die Politik. Auslandseinsätze nach dem Zufallsprinzip beschließen und dann den BND hinterherschicken vergeudet die Kräfte von Armee und Geheimdienst.

Sind die Schwerpunkte definiert, muß man den Geheimdienst dann freilich seine Arbeit auch machen lassen. Der Sinn der Auslandsaufklärung scheint sich in der politischen Klasse allerdings noch nicht überall herumgesprochen zu haben. Wie sonst ist zu erklären, daß man den BND sogar dafür tadelt, daß er in Brennpunktgebieten wie dem Irak weiter arbeitet, Kontakte unterhält und mit anderen Diensten spricht. Nicht alles, was ein Geheimdienst in Erfüllung seiner staatspolitischen Aufgabe tut, taugt zur Diskussion in der Öffentlichkeit.

Ein Geheimdienst ist stets auch eine politische Waffe. Wie scharf sie ist, hängt von dem Staat ab, der sie führt. Weiß die Politik nicht, was sie will, kann ihr auch der beste Geheimdienst nicht helfen.


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