© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Kolumne
Ordnungsmacht Sprache
Klaus Motschmann

Als der chinesische Philosoph Konfuzius (551 bis 479 v. Chr.) von seinem jungen Kaiser gefragt wurde, was er tun müsse, um das zerrüttete Reich wieder in Ordnung zu bringen, antwortete er kurz und bündig: "Stell' die Bedeutung der Begriffe wieder her und dulde keine Unordnung in der Sprache." Konfuzius hat damit einen entscheidenden Grundsatz der politischen Philosophie formuliert, der über die Jahrhunderte hinweg von der politischen Praxis in unterschiedlichen Kulturen bestätigt worden ist: daß zwischen politischer, gesellschaftlicher, religiöser und sprachlicher Ordnung ein enger innerer Zusammenhang besteht. Nur beiläufig soll angemerkt werden, daß die Probleme unserer Zeit und unseres Volkes spürbar minimiert werden könnten, wenn diese einstmals selbstverständliche Voraussetzung politischer Ordnungen und Werte beachtet werden würde. Das aber ist aus den bekannten ideologischen Gründen nicht der Fall.

Wir erleben heute die unbestreitbare Tatsache, daß nach 250 Jahren Aufklärung, nach 100 Jahren Sozialismus und nach 50 Jahren Reedukation von einer verbindlichen Definition politischer und ideologischer Grundbegriffe überhaupt keine Rede sein kann. Dem "mündigen Bürger" wird durch eine immer weiter um sich greifende babylonische Sprachverwirrung die Möglichkeit zu selbständiger und zuverlässiger Orientierung genommen und damit die Möglichkeit, "sich seines eigenen Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen".

Viele grundsätzliche Auseinandersetzungen beginnen mit der Frage: "Was verstehen Sie unter diesem Begriff?" Die jeweilige Einstellung zu Demokratie, Totalitarismus, Faschismus oder Islamismus wird so eruiert. Ganz aktuell: "Wie definieren Sie den Begriff 'Unterschicht'"? Solche Fragen fordern dann mitunter zu der Gegenfrage heraus: "Was meinen Sie mit 'Verstehen'"? Auf diese Weise kann in kurzer Zeit jeder Dialog ins Leere laufen und damit in einem bestimmten ideologischen Sinn umfunktioniert werden.

Wenn Einwände und Widersprüche gegen diese Methoden der Auseinandersetzung nicht abgewehrt werden können - zur Zeit kommt das noch gelegentlich vor -, dann wird gebieterisch an die sogenannte Drei-Finger-Regel Gustav Heinemanns erinnert: "Wer mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Schuld anderer weist, auf den weisen drei Finger zurück." Sie mahnen zum Bedenken der eigenen Schuld und stimmen damit in den Dauer-Tinnitus unserer veröffentlichten Meinung ein.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste Berlin.


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