© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Etappensieg
Enteignungen: Grundsatzurteil zur Aberkennungspraxis von Ausgleichsleistungen
Klaus Peter Krause

Es ist selten, daß Opfer politischer Verfolgung durch Kommunisten in der einstigen Sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 mit ihren gerichtlichen Klagen gegen Staat und Fiskus erfolgreich sind. Doch jetzt hat eines von ihnen beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein Grundsatzurteil erstritten. Das Urteil kommt auch den Opfern vergleichbarer Fälle zugute. Anhängig sind mehrere tausend solcher Verfahren.

In diesen Verfahren geht es um die sogenannte Ausgleichsleistung nach dem Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 (ALG). Gedacht ist sie als Teilentschädigung für den grob rechtsstaatswidrigen entschädigungslosen Vermögensentzug. Dieser Entzug war ein zusätzlicher Teil der politischen Verfolgung des "Klassenfeindes". Als Klassenfeind galt den Kommunisten vor allem das Groß- und Besitzbürgertum, denn dieses war ihr wesentlicher politischer Gegner. Der Vermögensentzug folgte dem rechtswidrigen Erschießen, Inhaftieren, Verschleppen, Hinrichten oder auf andere Weise zu-Tode-Bringen gleichsam auf dem Fuß und automatisch.

Getarnt wurde die Verfolgung, um ihr den Anschein des Rechts zu geben, als Bestrafung. Deshalb wurden die Bürger dieser Schicht pauschal beschuldigt, sie seien "Faschisten" oder "Kriegsverbrecher und Nazi-Aktivisten". Das Feststellen von individueller Schuld oder Unschuld wurde den Opfern verweigert. Gleichwohl nennen Ämter und Gerichte den verfolgungsbedingten Vermögensentzug - rechtlich und historisch falsch - Enteignung, als sei er, wenn auch entschädigungslos, nichts weiter als ein bloßer Verwaltungsakt gewesen statt eines schweren politischen Verbrechens und Verstoßes gegen Völker- und Menschenrecht.

Doch auch in dem aktuellen Verfahren spielten diese historischen Tatsachen keine Rolle, auch in ihm war nur von "Enteignung" die Rede. Es ging allein darum, ob dem damals "Enteigneten" jene Ausgleichsleistung vorzuenthalten sei. Dies ist nach dem ALG dann möglich, wenn der Betreffende dem nationalsozialistischen oder dem kommunistischen System "erheblichen Vorschub geleistet hat". Hat er das, hält ihn das Gesetz der Leistung für unwürdig.

Diese Unwürdigkeitsklausel nutzen die Ämter und Gerichte inzwischen außerordentlich exzessiv und ohne zu prüfen, ob denn die Betreffenden erheblichen Vorschub wirklich geleistet und damit tatsächliche individuelle Schuld auf sich geladen haben. Damit übernehmen sie Vokabular und pauschale Beschuldigungen der Kommunisten und setzen deren rechtsstaatswidrige politische Verfolgung heute fort.

Ihnen genügt für das Aberkennen nach inzwischen ständiger Praxis, daß der Betreffende während der Hitler-Herrschaft eine bestimmte politische Funktion oder ein Amt innehatte, wenn Funktion oder Amt in einer Liste "von möglicherweise gefährlichen Deutschen" des Alliierten Kontrollrats mitaufgeführt sind (KRD-38-Liste). Damals, bei der "Entnazifizierung" aller Deutschen, diente sie dazu, die potentiellen Hauptschuldigen schematisch zu benennen und sie zu bestrafen, falls sie in Funktion oder Amt das Nazi-Regime gefördert und gestützt hatten.

Aber nicht alle mit Funktion oder Amt haben das getan, sondern darin zuweilen und soweit überhaupt möglich sogar gegen das Regime gearbeitet. Die bekanntesten sind die Hitler-Attentäter um Graf Stauffenberg. Sie zu bezichtigen, sie hätten dem Regime allein wegen ihrer hohen Stellung erheblichen Vorschub geleistet, sie deshalb zu Unwürdigen zu erklären und ihnen darum die Ausgleichsleistung zu versagen, wäre hier besonders absurd. Doch was bei den Attentätern ohne weiteres augenfällig ist, ist es bei anderen Amtsinhabern nicht. Deshalb ist bei jedem, der die Ausgleichleistung begehrt, individuell zu prüfen, ob er im Amt den Nazis wirklich und erheblich Vorschub geleistet hat. Ebendies zu tun, hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts jetzt entschieden (3 C 39 05). In dem Revisionsverfahren ging es um die Ausgleichsleistung für zwei 1948 entzogene Grundstücke in Dippoldiswalde. Gehört hatten sie dem Rechtsanwalt und Notar Karl Krasting. Dessen Sohn Wolf-Achim Krasting, dem Kläger, kam es, wie er in der mündlichen Verhandlung betonte, vor allem darauf an, seinen Vater nicht als einen Mann abstempeln zu lassen, der dem Nazi-Regime erheblichen Vorschub geleistet habe. Der Vater war von 1931 bis April 1934 ehrenamtlich Vorsitzender eines NSDAP-Kreisgerichts und danach in der NSDAP-Kreisleitung als Amtsleiter für Gemeindepolitik, für den Juristenbund sowie als Leiter der Kreisrechtsstelle tätig gewesen.

Ende der pauschalen Aberkennungspraxis

Sehr klar stellte der Senat fest: Daraus, daß die Funktionen des Vaters in jener KRD-38-Liste der Hauptschuldigen aufgeführt seien, könne keine Vermutung dafür entnommen werden, daß er dem Nazi-System erheblichen Vorschub geleistet habe. Die ALG-Unwürdigkeitsklausel enthalte die für eine solche Vermutung erforderlichen Anhaltspunkte nicht. Ebensowenig könne die Unwürdigkeit aus den Parteifunktionen des Vaters hergeleitet werden. In ihrer Bedeutung und in ihren Einflußmöglichkeiten seien sie nicht so herausgehoben, daß der beklagte Freistaat Sachsen und das Verwaltungsgericht Dresden daraus auf erhebliches Vorschubleisten hätten schließen dürfen. An Handlungen, die den Ausschluß von der Ausgleichsleistung gerechtfertigt hätten, habe es gefehlt. Damit hat der Senat die bisherige pauschale Aberkennungspraxis eindeutig beendet.

Stefan von Raumer, der den Sohn als Anwalt vertrat, erklärte zum gewonnenen Prozeß: "Von nun an werden Behörden und Gerichte in der Regel die Ansprüche nur dann aberkennen können, wenn der Eigentümer konkrete, individuell zu benennende Unterstützungshandlungen zugunsten des nationalsozialistischen Systems begangen hat. Ob etwas anderes für besonders einflußreiche Personen im NS-Machtapparat gelte und wo hierfür eine Grenze zu ziehen sei, hat der Senat bisher nicht zu erkennen gegeben."


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