© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Akten zu und alle Fragen offen
Man muß kein Verschwörungstheoretiker sein, um Uwe Barschels Selbstmord zu bezweifeln
Thorsten Thaler

Es war der - trotz Spiegel-Affäre, trotz Flick-Skandal - größte Politkrimi in der Nachkriegsgeschichte der (alten) Bundesrepublik. Dennoch tut man sich aus heutiger Sicht schwer, ihn auch nur korrekt zu benennen. Für die meisten ist es immer noch einfach die "Barschel-Affäre", für andere die "Pfeiffer-Affäre" und wiederum für andere die "Barschel-Pfeiffer-Engholm-Affäre".

Welchen Begriff man bevorzugt, hängt nicht allein von der Kenntnis der Fakten und Indizien in diesem Fall ab, sondern vor allem davon, wie man sie interpretiert. Wer war in diesem Schurkenstück Täter, wer Opfer? Wer hat mit wem unter einer Decke gesteckt? Wer hat was zu welchem Zeitpunkt gewußt? Und die wichtigste Frage: Wie kam Uwe Barschel, der kurz zuvor zurückgetretene Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, am 11. Oktober 1987 in einem Genfer Hotel ums Leben? War es Selbstmord? Oder war es Mord?

Fragen über Fragen, die auch fast zwanzig Jahre nach der Affäre die Öffentlichkeit interessieren (sollten). Das Dunkel aufzuhellen, in dem sich dieser Politkrimi abspielte, und einen Blick hinter den Vorhang aus Fehlinterpretationen, Verdrehungen, Halbwahrheiten und Lügen zu werfen, ist erklärtes Anliegen des Journalisten Wolfram Baentsch (siehe Interview auf Seite 3 dieser Ausgabe). Drei Jahre lang hat der Autor, der sein Handwerk beim Spiegel erlernte und später Chefredakteur der Wirtschaftswoche war, für sein Buch "Der Doppelmord an Uwe Barschel" recherchiert; soeben ist es im Münchner Herbig Verlag erschienen. Baentschs Fazit, soviel sei vorweggenommen, ist eindeutig: "Uwe Barschel ist in den Herbstwochen des Jahres 1987 so grundlos und so gründlich verunglimpft worden wie vor ihm und nach ihm keine andere Person der Zeitgeschichte." Und: Barschel ist ermordet worden.

Rückblende: Einen Tag vor der Landtagswahl am 13. September 1987, bei der Uwe Barschel seine absolute Mehrheit gegen den SPD-Herausforderer Björn Engholm verteidigen will, läuft über die Medien eine Vorabmeldung des Spiegel zu der am Montag erscheinenden Titelgeschichte "Watergate in Kiel: ­Barschels schmutzige Tricks". Die Republik steht Kopf. Bereits eine Woche vorher hatte das Nachrichtenmagazin unter Berufung auf einen noch nicht genannten Belastungszeugen über unlautere Machenschaften aus der Kieler Staatskanzlei gegen Oppositionsführer Engholm berichtet. Der Vorwurf lautete, Barschel stecke als Anstifter oder Mitwisser hinter Aktionen seines - vom Springer-Verlag Anfang 1987 ausgeliehenen - Medienreferenten Reiner Pfeiffer; konkret ging es um Denunziationen Engholms als homosexuell und aidskrank, eine anonyme Anzeige wegen Steuerhinterziehung, die Bespitzelung des SPD-Politikers durch Privatdetektive und den Auftrag zur Beschaffung einer Wanze, die in Barschels Telefon eingebaut werden sollte, um die Sache nach ihrer Aufdeckung Engholm in die Schuhe zu schieben.

Auf einer denkwürdigen Pressekonferenz am 18. September gibt Barschel "der gesamten deutschen Öffentlichkeit" sein Ehrenwort, daß die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen haltlos sind. Trotzdem nimmt der Druck auf ihn weiter zu, und nachdem er in den Tagen danach "zumindest einer halben Lüge" (Baentsch) überführt wird, tritt er am 25. September von seinem Amt zurück. Zweieinhalb Wochen später ist Uwe Barschel nicht mehr am Leben. Am 11. Oktober, nur einen Tag, bevor er vor dem inzwischen vom Kieler Landtag eingesetzten Untersuchungsausschuß aussagen sollte (und wollte), wird er in der gefüllten Badewanne im Zimmer 317 des Genfer Hotels Beau Rivage bis auf die Schuhe vollständig bekleidet tot aufgefunden.

Wie kam es dazu? Wolfram Baentsch ist dieser Frage akribisch nachgegangen. Gestützt auf Gespräche mit Zeitzeugen und auf zum Teil bislang unveröffentlichtes Material (Fahndungsberichte, Gutachten von Sachverständigen, Obduktionsberichte, Vernehmungsprotokolle, Schriftwechsel) hat er eine Fülle von Indizien zusammengetragen, die den Schluß nahelegen, daß Uwe Barschel keinesfalls freiwillig aus dem Leben geschieden ist. Vielmehr sei er ermordet worden, weil er von illegalen Waffengeschäften zwischen Israel und dem Iran erfahren hatte, die ­hinter seinem Rücken ­über Schleswig-Holstein abgewickelt worden waren. Darin involviert gewesen seien neben dem israelischen Geheimdienst Mossad und der CIA auch der Bundesnachrichtendienst (BND) und die deutsche Bundesregierung. Dieses Wissen habe Barschel vor dem Untersuchungsausschuß auspacken wollen. Und weil er anders davon nicht abzubringen gewesen sei, so Baentsch, sei Barschel von professionellen Mördern aus dem Milieu der Geheimdienste aus dem Weg geräumt worden.

Baentsch kann sogar Hinweise auf den oder die Täter geben. So verweist er zum einen auf die US-amerikanische Firma Adler Research, bei der es sich um ein Tarnunternehmen der CIA handeln soll, dessen Zweck darin bestehe, überall auf der Welt Auftragsmorde auszuführen. Baentsch berichtet von einem Mann, der für Adler Research gearbeitet und möglicherweise auch die Tatbeteiligten im Fall Barschel gekannt habe. Der Waffenhändler und Geheimagent starb im Juni 1994 unter nie geklärten Umständen, wie es im staatsanwaltlichen Bericht heißt.

Eine andere Spur führt in Richtung israelischer Geheimdienst. Bereits im Spätsommer 1994 hatte der ehemalige Mossad-Agent Victor Ostrovsky in seinem Buch "Geheimakte Mossad - Die schmutzigen Geschäfte des israelischen Geheimdienstes" die Mordthese im Fall Barschel untermauert. Danach soll ein Killerkommando, das sogenannte Kideon-Team, nach Genf gereist sein, um Barschel zum Schweigen zu bringen. Trotz einiger Fehler im Detail, die Baentsch nicht verschweigt, hätte die Staatsanwaltschaft dieser Spur nachgehen müssen. Zu einer Vernehmung Ostrovskys ist es jedoch nie gekommen.

Seit 1998 ist das Todesermittlungsverfahren der Lübecker Staatsanwaltschaft mit dem Aktenzeichen 705 JS 33247/87 offiziell eingestellt. Zwar steht im Abschlußbericht, daß die Möglichkeit eines Selbstmords nicht ausgeschlossen werden könne. Aber es heißt auch: "Nach wie vor liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein Kapitalverbrechen vor." Also Akten zu und alle Fragen offen, wie Baentsch schreibt. Überhaupt gehören die Passagen, in denen der Autor die unglaublichsten Ermittlungsfehler, Schlampereien und Unterlassungssünden sowie das von Anfang an offenbar politisch motivierte (Nicht-)Handeln schildert, zu den stärksten seines Buches. Daß er dabei hier und da an Verschwörungstheorien erinnernde Formulierungen wie "kenntnisreiche Macht im Hintergrund" oder "gelenkt von einer für alle anderen unsichtbaren Regie" einstreut, wirkt gelegentlich ein wenig störend, liegt aber bei einem Buch über die Verstrickung von Geheimdiensten in illegale Machenschaften wohl in der Natur der Sache und kann Baentschs aufklärerischen Ansatz nicht schmälern.

Mit Gewinn liest man seine zum Teil scharfe Kritik an den Medien, insbesondere des Spiegel. Viele Berichte hätten nur darauf abgezielt, Barschel zum Sündenbock zu stempeln und die Selbstmordtheorie zu stützen. Freilich gab es auch Ausnahmen. Einer der ersten, der eine abweichende Meinung vertrat, war der Springer-Journalist Enno von Loewenstern. Am 13. Oktober 1987, zwei Tage, nachdem Barschel tot aufgefunden worden war, warf er in einem Welt-Kommentar die Frage auf, ob das Ganze eine Falle für Uwe Barschel war. "Was hat der Spiegel mit Barschel gemacht, was hat die SPD im Kontakt zu Pfeiffer mit Barschel gemacht, was hat der Stern mit Barschel gemacht?" Und fügte hinzu: "Die grausige Kabale überbietet alles Vorstellbare."

Für seinen Weitblick mußte sich Enno von Loewenstern ein halbes Jahr später ausgerechnet von dem Spiegel-Redakteur Norbert F. Pötzl, Hauptautor der Magazinberichte zur Kieler Affäre, böse verunglimpfen lassen. In seinem heute völlig wertlosen, weil von den nachfolgenden Ereignissen überholten Buch "Der Fall Barschel - Anatomie einer deutschen Karriere" läßt sich Pötzl auch über "Desinformationen in den Medien" aus. Natürlich meint er damit nicht den Spiegel. Vielmehr greift er Enno von Loewenstern frontal an: "Mit triefendem Haß auf alles Linke verzerrt der Ultrakonservative die Realität ins Groteske." Der Meinungsbildner des Springer-Flaggschiffs habe die Zusammenhänge und Abläufe der Barschel-Affäre auf den Kopf gestellt.

Daß Enno von Loewenstern der Wahrheit sehr viel näher kam als der Spiegel zu jener Zeit, belegt das Buch von Wolfram Baentsch eindrucksvoll.

 

Wolfram Baentsch: Der Doppelmord an Uwe Barschel. Die Fakten und Hintergründe, Herbig Verlag, München 2006, gebunden, 317 Seiten, s/w-Abb., 24,90 Euro

 

Fotos: CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel (l.) 1983 im Gespräch mit seinem SPD-Herausforderer Björn Engholm: "Grausige Kabale", "Spiegel"-Titel (Foto)


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