© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Frisch gepresst

Noelle-Neumann. Die Autobiographie der 1916 geborenen Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann muß sich in einer Hinsicht herbe Kritik gefallen lassen: Sie ist zu kurz (Die Erinnerungen, Herbig, München 2006, 319 Seiten, Abbildungen, gebunden, 24,90 Euro). Und selbst bei den gut 300 Seiten, die sie ihren Lesern gönnt, legt sie ein Tempo vor, das ihr wenig Raum läßt, den zahllosen "Personen der Zeitgeschichte", die ihren Weg kreuzten, Relief zu geben. Ausnahmen wie die Miniatur ihrer Teestunde mit Adolf Hitler oder die Charakterskizze des "widerwärtigen" Adorno bestätigen nicht nur die Regel, sondern verraten eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe, die hier leider kaum zur Entfaltung kommt. Das enorme Tempo Noelle-Neumanns, die nicht von ungefähr häufig einstreut, welche Relikte ihres Alltags sie "bis heute" aufbewahrt habe, ist das der Wiederaufbaugeneration. Kein Wunder, daß ihr im Rückblick die fünfziger Jahre gar nicht "restaurativ" erscheinen. Obwohl aus ihrer Feder nicht neu, liest man mit Fassungslosigkeit ihre brillante Analyse über den radikalsten Traditionsbruch, der je seit dem 18. Jahrhundert die sozialen Ordnung erschütterte. Er fand in der BRD zwischen 1967 und 1972 statt, und seine katastrophalen Folgen wirken bis heute nach.

 

Ackermann. Die Top-Manager mancher deutscher Dax-Unternehmen haben es nicht leicht. Doch anders als der vielgescholtene "Global Player" Jürgen Schrempp, der nach der Fast-Ruinierung des deutschen Konzerns Daimler-Benz nun der US-Investmentbank Lehman Brothers "als Berater bei Übernahmen und Fusionen europäischer Unternehmen zur Seite steht", wie gerade das Manager Magazin meldet, hält sein imagemäßig ähnlich beschädigter Vorstandskollege Josef Ackermann bei der Deutschen Bank weiter Kurs. Der in Zürich lebende Journalist Leo Müller hat den Bankchef und seinen Weg nach oben nun porträtiert und rückt bei aller Kritik an Entschlüssen und Methoden den allzu unsympathischen Eindruck zurecht, den das als PR-Gau zu wertende Foto mit dem Victory-Zeichen aus der Mannesmann-Gerichtsverhandlung weckt (Ackermanns Welt. Ein Tatsachenbericht. Rowohlt Verlag, Reinbek 2006, gebunden, 255 Seiten, 19,90 Euro).

 

Nürnberger Visionen. Im Oktober 1946 wurden die Hauptangeklagten des Dritten Reiches von einem alliierten Tribunal zum Tode verurteilt. Hätte Hitler den Krieg überlebt, hätte er mindestens ein ähnliches Schicksal erlebt. Einen imaginären Verfahrensverlauf hat der Publizist Michael Grandt anhand von Aussagen aus originalen Dokumente Hitlers umfangreich rekonstruiert. Durch interessante Dialoge und aufschlußreiche Fakten zu sensiblen Gebieten wie der ausländischen NS-Parteifinanzierung oder alliierten Kriegsverbrechen erfährt Grandts Fiktion eine politisch interessante Dramaturgie (Das Hitler Tribunal, Gryphon Verlag, München 2006, gebunden, 571 Seiten, Anhang 173 Seiten, broschiert, 34,80 Euro).


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