© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

Kolumne
Von alten Feinden und neuen Freunden
Klaus Hornung

Erinnerungen werden wach in diesen Tagen: wie unser damaliger Tübinger Freundeskreis im Oktober 1956 mit Carl Gustaf Ströhm in Budapest telefonierte. Durch Zufall war der neugierige 26jährige mitten hinein geraten in die erste Phase des Ungarn-Aufstandes und des sowjetischen Einmarsches in die Hauptstadt. Und er gab uns mehrfach durch das Telefon aus seinem Hotelzimmer Augenzeugenberichte über die dortigen Ereignisse, bis die Verbindung abbrach.

Später bin ich dann mehrfach vor und nach der Wende in Ungarn gewesen, das als erstes Land den Eisernen Vorhang durchschnitten und den Auftakt auch zur deutschen Revolution gegeben hatte. Es mußte auffallen, daß zu Beginn der antisowjetischen und antikommunistischen Revolution überall in Mittelosteuropa nationale Identifikationsgestalten für Volk und Freiheit hervortraten: War es in Ungarn Jozef Antal, so in Polen Lech Walesa oder in Prag der Schriftsteller Vaclav Havel, der nun mit einem Kranz von Literaten auf dem Hradschin residierte, oder auch Lennart Meri im fernen Tallinn. Diese großen Anfänge sind verflogen. Die Wendehälse, die sich auch Sozialisten nennen, rückten wieder in die Regierungen ein, ganze Netzwerke der alten Herrschaftsklassen, die sich große Teile des übriggebliebenen Volksvermögens unter den Nagel rissen, inmitten einer noch immer armen Mehrheit.

Und ein weiteres muß auffallen: Die politischen, medialen und ökonomischen Kommandohöhen in EU-Europa verstehen sich mit den alten Postkommunisten zumeist deutlich besser als mit den antikommunistischen und nationalkonservativen Kräften, die man nicht selten im Regen stehen läßt. Heute geht nicht nur in Ungarn die bange Frage um, warum ausgerechnet die postkommunistischen Mafias die Nutznießer der Freiheitsbewegungen sein sollen: von 1956 in Ungarn und Polen, 1968 in Prag, 1970 und 1980 in Polen. Die oft so geschichtsvergessene Nomenklatura der EU ist drauf und dran, auch diesen Ländern Geschichtsbewußtsein, Nationalstolz und Patriotismus auszutreiben und im Namen der brave new world des Hyperkapitalismus und der Globalisierung möglichst alles plattzuwalzen zu einem Einheitsbrei von Konsumenten und Produzenten. Gerade die nationalkonservativen Kräfte in Deutschland haben hier den Auftrag der Solidarität mit den Gleichgesinnten, die mit ihrer stolzen Geschichte oft genug bewiesen haben, daß sie sich nicht unterkriegen lassen - nicht nur in Wien gegen die Türken 1683.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaften an der Universität Hohenheim.


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