© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

Eine Operette wird zum Politikum
Auslandsmission: Die Sperrzone vor der Küste des Libanon macht den Einsatz der deutschen Marine wirkungslos / Der Verteidigungsminister in Erklärungsnot
Paul Rosen

Seit seinem Beginn und trotz der Kraftmeiereien der israelischen Luftwaffe gegen deutsche Schiffe und See-Hubschrauber ist der Libanon-Einsatz mehr eine operettenhafte Aktion denn ein Auftrag mit ernsthaftem Hintergrund. Denn hätte die Bundesregierung die Berichte ihres eigenen Geheimdienstes gelesen, dann wüßte sie, daß die Hisbollah in Süd-Libanon über den Landweg aus Syrien mit Nachschub versorgt wird und nicht über See. Aber dennoch wird aus dem Einsatz ein größeres Politikum. Die Bundesregierung mit Kanzlerin Angela Merkel an der Spitze scheint den Bundestag über die wahre Lage getäuscht zu haben.

Anfang September, als die politische Klasse über das Für und Wider einer Truppenentsendung nach Nahost stritt, kam eine Debatte über die Möglichkeiten des Mandats auf. Die libanesische Regierung, an der die Hisbollah beteiligt ist, wollte die Deutschen auf Distanz halten. Näher als sechs Meilen sollte die Marine nicht an die Küste heranfahren dürfen. Im sehr theoretischen Fall hätten Schmugglerboote aus Syrien dann nur dicht an der Küste des Libanon bleiben müssen, um den deutschen Kontrolleuren zu entgehen.

Ziegen vor dem Verdursten gerettet

Viele Bundestagsabgeordnete der Koalition liefen Sturm gegen diese Mandatsgestaltung. Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Bernd Siebert, sagte zum Beispiel, mit einer Sperrzone vor der Küste mache der ganze Einsatz wenig Sinn. Die Abgeordneten haben noch den Einsatz der Marine vor dem Horn von Afrika in schlechter Erinnerung: Dort dürfen deutsche Schiffe nicht in die somalischen Hoheitsgewässer fahren. Kapitäne von verdächtigen Booten wissen dies längst und tricksen die Deutschen aus, indem sie in die Hoheitsgewässer des untergegangenen Staates Somalia flüchten oder gleich im Küstenbereich fahren. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen schien die parlamentarische Mehrheit der Koalition nicht mehr sicher. Mitte September gab es von Merkel und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) frohe Kunde: Die Sperrzone sei weg. Man könne die Küstengewässer frei befahren, freute sich Merkel - zu früh, wie man heute weiß. Geregelt war nämlich gar nichts, aber das sagte die Regierung im Bundestag nicht, um die Mehrheit nicht zu gefährden.

Im Verteidigungsausschuß des Bundestages mußte die Regierung in der vergangenen Woche zugeben, daß es sehr wohl eine Sperrzone gibt. Das Protokoll zwischen den Vereinten Nationen und dem Libanon wurde am 12. Oktober geschlossen - unter deutscher Beteiligung: Innerhalb der Sechs-Meilen-Zone darf die Bundesmarine nur auf Anforderung der libanesischen Regierung tätig werden. Den Bericht gab es schriftlich, so daß keine Zweifel mehr bestehen. Das ist für die Kanzlerin und den Verteidigungsminister peinlich. Sie sind damit überführt, in der Öffentlichkeit nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Die Wortverdreher im Bundespresseamt versuchten zu retten, was nicht zu retten war und sprachen wolkig von Soll-Bestimmungen. In einer eilig einberufenen Sitzung des Verteidigungsausschusses sprach Jung von dem Recht der Marine, in begründeten Verdachtsfällen auch ohne Anforderung der libanesischen Regierung in die Sperrzone einfahren zu dürfen. Was begründete Verdachtsfälle sind, konnte Jung nicht sagen.

Jung zog sich inzwischen auf den Standpunkt zurück, das Mandat sei effektiv. "Für mich ist entscheidend, daß das Mandat effektiv wahrgenommen werden kann. Und das ist der Fall." Wie effektiv solch eingeschränkte Mandate sind, weiß die Marine von ihrem Einsatz am Horn von Afrika zu berichten. Die einzige Großtat deutscher Soldaten seit 2001 bestand darin, eine manövrierunfähige Dschunke mit Ziegen an Bord an den Haken zu nehmen, nach Jemen zu schleppen und die Tiere damit vor dem Verdursten zu retten. Im östlichen Mittelmeer war die Marine sogar noch erfolgreicher: Sie rettete Seeleute von einem brennenden Frachter.


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