© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

Volksabstimmung über den Irak-Krieg
USA: Demokraten hoffen auf Mehrheit im Kongreß / Auch wertkonservative Wähler mit Bush unzufrieden
Elliot Neaman

Alle Wahlen werden auf kommunaler Ebene entschieden", sagte einmal der US-Demokrat Tip O'Neill, der legendäre Sprecher des Repräsentantenhauses (1977-1987). In diesem Jahr überschattet aber der Irak-krieg alle anderen Fragen, und die Unzufriedenheit der Wähler mit der Regierung von George W. Bush könnte der Demokratischen Partei bei den Kongreßwahlen am 7. November einen Riesenerfolg bescheren. Um etwa 35 Mandate im Repräsentantenhaus und sieben im Senat ist das Rennen völlig offen. Die oppositionellen Demokraten bräuchten fünfzehn zusätzliche Sitze im Repräsentantenhaus und sechs im Senat, um die Kongreßmehrheit zurückzuerobern.

Derzeit werden ihnen 216 Sitze im Repräsentantenhaus, den Republikanern 219 prognostiziert, und in den letzten zwei Wochen deutete alles auf einen Trend zu ihren Gunsten hin. Um im Senat die Oberhand zu erlangen, müßten sie sieben Mandate hinzugewinnen - nicht sehr wahrscheinlich, aber durchaus im Bereich des Möglichen. Kippen die Mehrheiten in beiden Häusern, käme dies einem Umschwung gleich, wie ihn die Republikaner 1994 mit ihrem Erdrutschsieg bewirkten. Für Bush würde das Regieren dann äußerst schwierig werden.

Riskante "Fünfzig-Staaten-Strategie" von Howard Dean

Ob die Demokraten überhaupt gewinnen wollen, ist eine andere Frage. Zum einen: Ist die Partei einig und ehrgeizig genug, um zu gewinnen? Ihrem wichtigsten Gremium, dem Democratic National Committee, dem auch die Koordination der Wahlkampfstrategie obliegt, steht nun Howard Dean vor, der Ex-Gouverneur von Vermont, dem es um ein Haar gelungen wäre, John Kerry die demokratische Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2004 streitig zu machen. In den damaligen Vorwahlen hatte Dean viel Unterstützung an der Basis. Sein Wahlkampf wurde vor allem von über das Internet vernetzten Aktivisten betrieben. Als Parteivorsitzender strebt er eine Reform der Partei an, die Lokalpolitikern in den Bundesstaaten mehr Einfluß verschaffen soll, statt alle Macht in Washington zu bündeln.

Statt der traditionellen Wahlkampfstrategie beider Parteien zu folgen, finanzielle und personelle Ressourcen in einige wenige Kopf-an-Kopf-Rennen fließen zu lassen, kämpft Dean mit einer "Fünfzig-Staaten-Strategie" selbst dort um Wählerstimmen, wo die Demokraten derzeit keine Chance haben, die Republikaner zu schlagen. Manch einem hohen Parteifunktionär in Washington sträuben sich die Haare ob dieses Plans. Hätten die Demokraten bei den diesjährigen Wahlen keinerlei Aussicht, die Mehrheit im Kongreß zu gewinnen, wäre es durchaus sinnvoll, in bislang vernachlässigten Landesteilen eine Wählerbasis aufzubauen. Sollte Deans Strategie jedoch dazu führen, daß die Demokraten in einer der beiden Kammern Mandate knapp verfehlen, weil Mittel anderswo verschwendet wurden, wird sie rückblickend selbstmörderisch erscheinen.

Die republikanische Strategie dagegen besteht darin, ihren Wetteinsatz auf den Krieg im Irak zu verdoppeln. Dem gegenwärtigen Fiasko zum Trotz hofft die Partei, unentschiedene Wähler in der entscheidenden Frage der nationalen Sicherheit halten zu können. Präsident Bush ist in den vergangenen Wochen kreuz und quer durchs Land gereist und hat seinen amorphen "Krieg gegen den Terror" gepredigt, statt die konkreten Schlachten anzusprechen, die US-Soldaten tagtäglich in Bagdad und dem sunnitischen Dreieck schlagen. Denn im September und Oktober ist die Anzahl der Angriffe gegen Amerikaner auf über dreißig am Tag gestiegen - mehr als einmal pro Stunde!

Die Demokraten wissen dem nichts entgegenzusetzen. Kritisieren sie Bushs Irak-Politik und fordern einen Rückzug der Streitkräfte, setzen sie sich dem Vorwurf des Defätismus aus. Sprechen sie sich in der Hoffnung auf eine Besserung der Lage für einen Verbleib im Irak aus, ziehen sie womöglich den Zorn ihrer Stammwähler auf sich. Nicht daß die Republikaner eine Idee hätten, wie die irakische Situation zu verbessern wäre - müssen sie aber auch nicht. Indem sie Ihren Kurs beibehalten, vermitteln sie vielen Wählern der Mitte zumindest den Eindruck von Linientreue. Unter den Demokraten dagegen gibt es zehn verschiedene Pläne, wie sich der Krieg beenden ließe. Diese Uneinigkeit veranlaßte den Komiker Will Rogers (1879-1935) einst zu dem Scherz, er gehöre keiner politischen Organisation an - sondern sei Demokrat.

Die zweite Frage lautet: Wäre es womöglich besser, 2006 zu verlieren, um bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren aus einer besseren Position zu starten? Momentan ziert ein von den Demokraten vertriebener Autoaufkleber viele Kotflügel, auf dem nur steht: "Had Enough?" ("Reicht es?") Durchaus möglich, daß zwei weitere Jahre Unzufriedenheit mit der republikanischen Regierungsarbeit den Demokraten bei ihrem nächsten Versuch, ins Weiße Haus einzuziehen, einen unschätzbaren Vorteil verschaffen würden. Erlangten sie dagegen diesmal die Kongreßmehrheit, so hätten die Republikaner zwei Jahre lang Zeit, von den Oppositionsbänken Kritik zu üben. Die Demokraten wiederum müßten die Verantwortung für das Schlamassel schultern, das die derzeitige Legislative zurückließ - insbesondere das wachsende Haushaltsdefizit und den Irakkrieg.

Für den Zustand der US-Demokratie wäre ein republikanischer Sieg jedoch kein gutes Zeichen - weder im eigenen Land noch im Ausland. Die als Gerrymandering bezeichnete Praxis der Manipulation von Wahlkreisgrenzen hat zur Folge, daß nur wenige Rennen wirklich knapp ausgehen. Wenn sich die massive Unzufriedenheit mit der Bush-Regierung und der Republikanischen Partei nicht in einer grundlegenden politischen Wende ausdrückt, werden Zweifel aufkommen, ob die USA eine wahre Demokratie sind. Freilich gibt es allen Grund für die Annahme, daß die Befreiung des Kongresses aus dem zwölfjährigen Würgegriff der Republikaner unmittelbar bevorsteht.

Affären belasten das Image der Republikaner

Als Indiz dafür mag die Bredouille dienen, in der sich Karl Rove befindet. Bushs Wahlkampfstrategen und wichtigstem politischen Berater gelang es 2000 und wiederum 2004, Wähler aus zwei sehr verschiedenen Lagern an die Republikaner zu binden: "Wertkonservative" aus der religiösen Rechten und libertäre Befürworter eines schlanken Staates aus der Mitte und der rechten Seite des politischen Spektrums.

Mittlerweile ist allerdings in der christlich-fundamentalistischen Wählerschaft die Enttäuschung über die Bush-Regierung groß. Sie war es, die noch 2004 in heiß umkämpften Bundesstaaten dafür sorgte, daß Kerry etwa in Ohio 60.000 Stimmen zum Sieg fehlten. Im Gegenzug erwartete sie mehr Kabinettsposten und eine größere Berücksichtigung ihrer Anliegen. Abgesehen von der Ernennung zweier stramm konservativer Richter für den Supreme Court wurde ihre Loyalität jedoch kaum belohnt.

Eine nicht abreißen wollende Welle von Affären, zumeist finanzieller Natur, hat den Ruf der Republikaner zusätzlich beschädigt. Als Anfang Oktober der Kongreßabgeordnete Mark Foley aus Florida zurücktreten mußte, nachdem er auf dem Server der Regierung E-Post mit eindeutig sexuellem Inhalt verschickt hatte, erreichte die Empörung einen neuen Höhepunkt. Der 52jährige unverheiratete Foley war kein Hinterbänkler, sondern ein politischer Entscheidungsträger und Wortführer einer Initiative gegen sexuellen Mißbrauch, der nun dabei ertappt worden war, wie er mit minderjährigen Jungen Kontakt aufnahm, mit denen er möglicherweise sogar intim war. Aus all diesen Gründen scheint es ohne weiteres möglich, daß Roves "Koalition" auseinanderbricht und konservative Wähler am 7. November zu Hause bleiben.

Neben solchen Skandalen hat eine Reihe von Buchveröffentlichungen bewirkt, daß das Versagen der Bush-Regierung, ihre Wahlversprechen einzulösen, nie in Vergessenheit gerät. Unter anderem erschien zuletzt "State of Denial", eine scharfe Kritik an den desaströsen Verfehlungen der US-Außenpolitik aus der Feder Bob Woodwards. Seit er gemeinsam mit Carl Bernstein den Watergate-Skandal aufdeckte, der 1974 zu Richard Nixons Rücktritt führte, gilt Woodward als einer der angesehensten investigativen Journalisten der USA. Er hat Kontakte zu hohen Regierungskreisen, von denen andere Berichterstatter nur träumen können, und er genießt große Achtung in der Bevölkerung. Woodwards Wortmeldung ist um so wichtiger, als er Bush in seinen letzten beiden Büchern als starkes, ja visionäres Staatsoberhaupt darstellte.

In "State of Denial" schildert er nun, wie Bush sich wiederholt weigerte, auf seine Generäle und außenpolitischen Berater zu hören. Noch als der Oberste Befehlshaber bereits über die katastrophale Lage in Afghanistan und dem Irak informiert war, versicherte er den Amerikanern, daß ein Sieg unmittelbar bevorstünde. Umfragen zeigen, daß sich die Wähler betrogen fühlen und überdies glauben, der Irakkrieg habe die Terror-Bedrohung eher erhöht als vermindert. So dürfte ihnen der Sinn danach stehen, die republikanischen Amtsträger abzustrafen. Die Demokraten haben die besten Karten - sofern sie wirklich gewinnen wollen und sofern sie nicht ihre größten Trümpfe seit 1992 verspielen.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco. In der JF 42/06 schrieb er über das "Ende der konservativen Revolution".


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