© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

Europas Grünes Band
Naturschutz: Der einstige Verlauf des "Eisernen Vorhangs" ist das weltweit längste Biotopsystem
Michael Howanietz

Im Mai 1989 begannen ungarische Grenzsoldaten einen Teil der Sperranlagen nach Österreich zu demontieren. Am 27. Juni durchtrennten dann der österreichische Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Kollege Gyula Horn offiziell den "Eisernen Vorhang" zwischen dem österreichischen Klingenbach und dem ungarischen Ödenburg (Sopron). Am 11. September wurde dann diese Grenze auch für DDR-Bürger und andere Staatsangehörige des damaligen "Ostblocks" geöffnet. Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer - und in ihrem Gefolge der ganze "Eiserne Vorhang", der Eu-ropa bis dahin trennte.

Seither durchzieht ein Grünes Band den Kontinent vom äußersten Norden Finnlands bis hinunter nach Albanien und zum Schwarzen Meer. Auf über 6.800 Kilometern reiht sich inzwischen ein wertvoller - weil von menschlicher Einflußnahme jahrzehntelang weitgehend verschont gebliebener - Lebensraum an den anderen. Auf einer Breite von fünfzig Metern bis 30 Kilometern bietet die einstige Todeszone eine Fülle artenreicher Naturinseln, Biotope und Rückzugsgebiete für Fauna und Flora. Die 2003 in Bonn gegründete Initiative "European Green Belt" vereint Organisationen wie Euronatur, den Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND), den Bund Naturschutz in Bayern oder den Naturschutzbund Österreich. Sie wollen jene grünen Korridore für kommende Generationen erhalten und die Schwerpunktgebiete mit unterschiedlichem Schutzstatus verbinden.

Keine größeren Städte im Umfeld des Grüngürtels

In Deutschland ist es gelungen, 85 Prozent des die ehemalige Zonengrenze flankierenden Bandes vor der Zerschneidung durch Straßen oder andere Bauvorhaben zu bewahren. 2.000 Hektar des insgesamt 18.000 Hektar umfassenden und knapp 1.393 Kilometer langen Grünstreifens gingen zwischenzeitlich allerdings durch landwirtschaftliche Intensivnutzung verloren.

Flächenverluste ähnlichen Anteils klaffen als Schneisen und ökologische Trennlinien entlang des gesamten Bandes zwischen Barentsee und Adria. Der 23 Staaten berührende Grünlandgürtel wird in drei Hauptbereiche gegliedert:Der nördliche ist der fennoskandische Abschnitt. Er spannt sich vom Nordosten Norwegens entlang der finnisch-russischen Grenze. Auf bis zu 30 Kilometer Breite entfalten sich hier die letzten dichten Nadelwälder der Taiga und Waldtundra. Die Erhaltung des ursprünglichen Zustandes dieser so alten wie ausgedehnten Walder kommt gefährdeten Arten wie Wolf, Luchs, Rentier und Ringelrobbe zugute.

Ein sehr viel breiteres Artenspektrum findet sich in den naturnah strukturierten Kulturlandschaften des zentraleuropäischen Abschnitts. Seine Kerngebiete liegen entlang der Elbe, im Harz, umschließen den Bayerischen und den Böhmerwald und führen über den Nationalpark Thayatal an den Neusiedler See. An ihn schließt der von vielfach unberührten Gewässersystemen geprägte südosteuropäische Abschnitt an. Vor allem entlang seines Verlaufes blieben großflächige Sperrareale als Naturgebiete erhalten. Was die Bedingungen für grenzüberschreitende Großschutzgebiete zusätzlich verbessert, ist die Tatsache, daß sich keine größeren Städte im Umfeld des Grüngürtels finden.

Das Grüne Band soll als gesamteuropäisches Symbol für Naturschutz und Nachhaltigkeit etabliert und als weltweit längste zusammenhängende Wildniszone bewahrt werden. Mit Ausnahme unverzichtbarer Sperrzonen, die besonders empfindliche Ökosysteme wie Moore oder Auwälder betreffen, soll aber der Mensch mittels nachhaltiger Landwirtschaft und naturverträglichem Tourismus durchaus in dieses System integriert sein.

Im Grünen Band findet sich eine Vielzahl andernorts ausgestorbener Arten wie Urzeitkrebse, Schwarz- und Weißstorch oder die Flußperlmuschel. Der Wachtelkönig findet sich in den Auen tschechisch-bayerischer und österreichisch-slowakischer Grenzflüsse. Besonders für gefährdete Arten, die auf der "Roten Liste" stehen, ist die Beseitigung isolierender Barrieren unerläßlich. Verinselung ist eine Primärursache des Aussterbeprozesses. Die Schaffung von Korridoren und Trittsteinbiotopen ermöglicht die Vergrößerung des artspezifischen Genpools, was Voraussetzung für die Überlebensfähigkeit der jeweiligen Spezies ist. Ziel ist folglich ein unterbrechungsloser Biotopverbund, in dem Kernflächen ausreichender Größe durch Korridore oder Rastplätze miteinander verbunden sind.

Der transeuropäische Schutzgebietskorridor vom Nordkap bis zur Ägäis hat dabei die Bedürfnisse zahlreicher Arten unterschiedlichster Gattungen aus Flora und Fauna zu berücksichtigen. Während Zugvögel Futterangebot und Rastplätze benötigen, Reptilien und Amphibien (neben dem geeigneten Lebensraum) vor allem Querungsmöglichkeiten für Straßen in dessen Nahbereich brauchen, sind Großsäuger und Wild auf das Vorhandensein ausgedehnter Wanderrouten angewiesen.

Vorleistungen zur Erhaltung der dortigen Artenvielfalt

Wildtiere wie Bär, Luchs, Wolf oder Elch beanspruchen große Territorien. Um ungestört wandern, überlebensfähige Populationen bilden und so ihre Gene austauschen zu können, bedürfen sie entsprechend geschützter Pfade, sogenannter Genfluß-Korridore. Vorleistungen zur Erhaltung der ortstypischen Artenvielfalt, wie die Errichtung von Wildtierpassagen und Grünbrücken, sind aufwendig, sollten aber selbstverständlich sein. Das schon 1979 geschlossene "Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten" (Bonner Konvention) ist ein völkerrechtlich bindender Vertrag. Er könnte helfen, das Grüne Band als Naturschutzraum langfristig zu sichern.

Deutschsprachige Informationen im Internet: www.bund.net/aktionen/gruenesband 

Die englischsprachige Internetadresse lautet: www.countdown2010.net/greenbelt.htm


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