© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

Etwas bleibt immer hängen
Nachrichten aus einem beschädigten Land: Die Zeitschrift "Cicero" verbreitet Gerüchte über Jürgen Habermas
Thorsten Hinz

Parallel zum Entschluß der nordrhein-westfälischen Landesregierung, Jürgen Habermas auszuzeichnen, erscheint die Zeitschrift Cicero auf dem Titelblatt mit der Überschrift "Vergeßt Habermas!". Das Hochglanzmagazin gilt als anspruchsvoll, intelligent, sogar als konservativ. Mit geistigem Heißhunger blättert man die angegebenen Seiten auf, um endlich auf hohem Niveau die tieferen Gründe für die eigene, instinktive Abneigung gegen den Praeceptor Germaniae zu erfahren. Doch es gibt nur einen Aufsatz von Jürgen Busche, der sich auf eine Passage aus der Autobiographie von Joachim Fest bezieht. Es geht um ein vorgedrucktes Mahnschreiben, das der 14jährige Jungvolkführer Habermas 1943 an den gleichaltrigen Hans-Ulrich Wehler geschickt hatte, weil der den Sanitätsdienst schwänzte. Jahrzehnte später habe Wehler das Schreiben an seinen Urheber zurückgeschickt, und dieser habe das Corpus delicti verschluckt, als private "Schadensabwicklung" gewissermaßen.

Eine Geschichte, die zur Hälfte erfunden ist, wie auch Busche zugibt. Und trotzdem: "Wenn das Schriftstück nach so langer Zeit gesprächsweise wieder in Erinnerung kommen konnte, wenn es für wert befunden wurde, es dem ursprünglichen Absender eigens zuzuschicken, wenn sich der vielbeschäftigte Geschichtsprofessor dann noch nach dem Verbleib erkundigte, dann hat wohl mehr darauf gestanden als nur das Vorgedruckte. Ob das so war und was das war, ist jetzt nicht mehr festzustellen." Eben. Vielleicht hat Habermas ja tatsächlich mit "Heil Hitler" unterschrieben. Vielleicht auch nicht. Habermas führt gegen die Insinuation an, er habe schon wegen seiner Behinderung keine Sympathien für den Nationalsozialismus haben können.

Das virtuelle "Heil Hitler" eines 14jährigen, das eine Philosophie verabschieden soll; ein "Magazin für politische Kultur", das das für buchenswert hält; ein Staatsphilosoph, der sich auf seine Hasenscharte als antifaschistisches Alibi zurückzieht: Drei Nachrichten aus einem beschädigten Land.


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