© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Alarmsignal
Karl Heinzen

Durften in den 1970er Jahren noch über eine Million Bürger der alten Bundesrepublik von sich behaupten, stolze Besitzer eines sozialdemokratischen Parteibuches zu sein, so sind dies heute in ganz Deutschland nur noch 570.000. Die Unionsparteien haben, zusammengerechnet, die SPD hinsichtlich der Mitgliederstärke längst abgehängt. Insbesondere für die CDU ist dies jedoch kaum tröstlich: Ihre eigene Mitgliederzahl ging seit 1990 um ein Viertel auf knapp über 560.000 zurück.

Die betroffenen Parteien mögen diese Entwicklung zwar als schädlich für ihr Renommee und vor allem ihre Finanzen betrachten. Um das Funktionieren unserer Demokratie muß sich jedoch niemand wirklich sorgen, bloß weil manche hauptamtlichen Funktionsträger der zusehends überdimensionierten Parteiapparate um ihre Arbeitsplätze bangen. Im Gegenteil: Man hat es viel eher als eine alarmierende Nachricht zu betrachten, daß immer noch fast 1,5 Prozent der Bevölkerung an der archaischen Praxis einer Mitgliedschaft in einer der sogenannten Volksparteien festhalten. Anstatt danach zu fragen, was sie als Gegenleistung hierfür erhalten, rechtfertigen sie sich mit der Behauptung, daß unser Gemeinwesen angeblich aktive Bürger benötige, die sich wie sie ohne eigennützigen Hintergrund zu einer demokratischen Partei bekennen oder gar für diese engagieren. Wer so denkt, ist jedoch nicht nur ein Modernitätsverlierer, sondern, viel schlimmer noch, ein Modernitätsverweigerer.

Eine ihnen verbliebene Kernaufgabe der Volksparteien scheint es somit zu sein, solche Menschen zu erfassen und zu beschäftigen, damit sie vor lauter Enttäuschung nicht womöglich zu extremistischen Gruppierungen abwandern, die sich irgendwelchen plakativeren Gemeinwohlideologien verschrieben haben. Problematisch ist, daß sie qua Satzungen und Gesetz heute jedoch nicht daran gehindert werden können, sich an der innerparteilichen Willensbildung zu beteiligen und über Programme und Führungspersonal mitzuentscheiden. Je größer die Diskrepanz zwischen einer professionell und daher pragmatisch betriebenen Politik an der Parteispitze und den idealistischen Bedürfnissen an der Basis aber wird, desto schwieriger dürfte es den Vorständen fallen, das interne Gefahrenpotential zu zügeln. Dieses Problem könnte der Gesetzgeber aus der Welt schaffen. Er müßte bloß zulassen, daß Parteien sich nicht mehr wie ein Allerweltsverein organisieren müssen, sondern die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft wählen dürfen, die klare und stabile Hierarchien kennt.


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