© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/06 17. November 2006

Komplexes Konglomerat
Kampf gegen Rechts: Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung erforscht politische Einstellungen
Ekkehard Schultz

Im Sächsischen Landtag gibt es in den Reihen von CDU, SPD, FDP und Linkspartei zusammen weit mehr Abgeordnete mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild, als die NPD dort Abgeordnetenmandate besitzt. Auch diese konkrete These vom "Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft" glaubten am vergangenen Mittwoch die Sozialforscher Oliver Decker und Elmar Brähler in den Räumen der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) belegen zu können, als sie die Ergebnisse ihrer jüngsten Rechtsextremismus-Studie vorstellten.

In der von der FES beauftragten Untersuchung bemessen sich rechtsextreme Einstellungen an einem Konglomerat aus Ungleichwertigkeitsvorstellungen von Menschen, der Akzeptanz diktatorischer Regierungsformen, übersteigertem Nationalgefühl, der Verharmlosung des Nationalsozialismus sowie antisemitischen und fremdenfeindlichen Positionierungen. Brähler räumte allerdings ein, daß einige Indizien für Rechtsextremismus, wie die Bevorzugung diktatorischer Regime gegenüber der westlichen Demokratie sowie Antisemitismus auch bei Personen mit einem linksextremen Weltbild in höherem Maße nachweisbar seien, allerdings "nicht in dieser Komplexität". Insgesamt wurden 5.036 Personen im Alter von 14 bis 99 Jahren befragt.

Die Sozialforscher kommen zu dem Resultat, daß der Anteil von Personen mit einem "geschlossenen rechtsextremen Weltbild" (mehr als zwei Dritteln aller Indizes mußten die Befragten dafür zustimmen) 8,6 Prozent betrage (West 9,1 Prozent; Ost 6,6 Prozent). Dies entspricht einem leichten Rückgang seit den vergleichbaren Untersuchungen von 2002 und 2004. Blickt man jedoch auf die konkreten Positionen, so zeigt sich eine deutliche Verminderung an offen antidemokratischen Einstellungsmustern innerhalb dieses Zeitraumes. So befürworten nach der aktuellen Befragung lediglich noch 4,8 Prozent der Befragten Diktaturen, während 2002 (7,7 Prozent) und 2004 (6,4 Prozent) dieser Anteil noch weit höher lag. Auch der Anteil derjenigen, die die Verbrechen des Nationalsozialismus in der Geschichtsschreibung als "weit übertrieben" bewerten, ist deutlich gesunken.

Eine Steigerung von den von Decker und Brähler als rechtsextrem gewerteten Einstellungen ist lediglich in den weitaus streitbareren Kategorien des "übersteigerten Nationalbewußtseins" und zum Teil auch in der "Ausländerfeindlichkeit" belegbar. So wird als Indiz für Chauvinismus von den Autoren der Studie bereits die Zustimmung zur These "Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben" gewertet. Vor diesem Hintergrund ist dann das Resultat, daß über 19 Prozent der Befragten eine "chauvinistische Einstellung" aufwiesen, leicht erklärlich.

Rechtsextremismus als Frage des Alters

Laut Decker und Brähler nehmen rechtsextreme Einstellungen mit dem Alter der Befragten deutlich zu. Entgegen landläufiger Einstellungen sei in Sachsen rechtsextremes Gedankengut erheblich weniger verbreitet als etwa in Bayern oder in Mecklenburg-Vorpommern. Gefragt nach den Wahlpräferenzen der Personen, die mehr als 33 Prozent aller als Indizien für Rechtsextremismus gewerteten Thesen zustimmten, gaben 35 Prozent an, Wähler der CDU/CSU zu sein, dicht gefolgt von der SPD mit über 34 Prozent. 17 Prozent gaben an, Nichtwähler zu sein. Sechs Prozent der "Extremisten" waren Wähler
der NPD, der DVU oder der Republikaner.

Bei der Diskussion dieser Ergebnisse hielt SPD-Generalsekretär Hubertus Heil zunächst fest, daß die Hoffnung der NPD, größere Teile der deutschen Gesamtbevölkerung würden mit ihren Positionen übereinstimmen, eine "Wahnidee" sei. Es stehe - das zeige die Studie deutlich - "keine Machtergreifung von Rechtsextremen" bevor. Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus müsse man in erster Linie auf die "Entlarvungsstrategie" setzen. Wichtig sei darüber hinaus eine deutlich bessere Aufklärung der Öffentlichkeit über die Frage, wie politische Entscheidungen zustande kommen, damit man "der verbreiteten Politikerverdrossenheit Herr werden" könne. Seien Entscheidungswege zu kompliziert und zu wenig transparent, dann müsse man auch "über Vereinfachungen nachdenken".

Als großes Problem betrachtete Heil zudem, daß es "im Osten zum überwiegenden Teil keine positiven Erlebnisse mit der sozialen Demokratie" seit der Wiedervereinigung gegeben hätte. In Westdeutschland habe sich dagegen das Gefühl für die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs ausprägen können, was sich deutlich stabilisierend auf die Demokratie ausgewirkt habe.

In diesem Punkt wurde der SPD-Generalsekretär von der Vorsitzenden des Vorstandes der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, bestätigt. Eine deutliche Zunahme der Akzeptanz von demokratischen Institutionen im Westen sei in einer "Schönwetterzeit" erfolgt, während in Ostdeutschland die Annahme demokratischer Werte in einer allgemeinen Krisen- und Veränderungssituation erfolgen müsse. Während sich allerdings Heil für die Beachtung klarer politischer Richtlinien und Grenzen ausgesprochen hatte, warb Kahane dafür, daß sich Parteien und Institutionen auch über behördliche Vorschriften hinwegsetzen und weniger "bürokratisch" und "engstirnig" entscheiden und so etwa Projekte gegen Rechtsextremismus auch über das reguläre Maß hinaus kontinuierlich fördern sollten. Gegenüber der Kritik, daß trotz zahlreicher geförderter Projekte deren Nutzen gering sei, wenn man sich den Einzug der NPD in die Landesparlamente in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern betrachte, entgegnete Kahane, daß die Wahlerfolge der NPD ohne diese Gegenarbeit noch viel größer ausgefallen wären: So habe man nur "dank massiven Aufrufe der Initiativen um eine möglichst hohe Wahlbeteiligung der Bürger in Mecklenburg-Vorpommern" ein zweistelliges NPD-Ergebnis verhindern können.


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