© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/06 17. November 2006

Flüchtige Erinnerung
9. November: Geringe Beteiligung an Gedenkveranstaltung
Christian Dorn

Zum 17. Jahrestag des Mauerfalls versammeln sich diesmal nur wenige Politiker an der Gedenkstätte Bernauer Straße, neben der sich auch das "Dokumentationszentrum Berliner Mauer" befindet, als dessen Leiterin Maria Nooke agiert. Die Umstände wollen es, daß ausgerechnet ihr Mann, der ehemalige Bürgerrechtler und CDU-Bundestagsabgeordnete Günter Nooke, die Gedenkansprache hält, der unter der Ägide Merkels nunmehr das Amt des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung ausübt. Expressis verbis bezeichnet Nooke den 9. November 1989 als einen der "glücklichsten Momente der deutschen Geschichte" und mahnt - als Unterstützer eines Einheitsdenkmals (siehe Seite 4) - abermals an, daß "Nation als Geschichte durch kleine und große Feste zu trainieren" sei. Mit Blick auf den verengten Blickwinkel bezüglich der DDR-Vergangenheit betont er, daß "selbst wer sich innerhalb der Mauer eingerichtet hatte", unter dieser gelitten habe.

Auf die seiner Ansprache vorangegangene Andacht in der Kapelle der Versöhnung verweisend, fragt er - in Erinnerung an den historischen Moment Günter Schabowskis - ob das Diktum "Am Anfang war das Wort, und die Menschen glaubten ihm" richtig sei, ob es nicht vielmehr "der Glauben" gewesen sei, der den Weg geebnet habe. Aber natürlich ist dieser Weg, aufgrund seines Datums, historisch überlagert. So wird auch diesmal, aber nur mit einer kurzen Bemerkung, die Reichspogromnacht des 9. November 1938 erwähnt. Sodann rekurriert Nooke, wie könnte es in seinem Amt anders sein, auf die Menschenrechte und unterstreicht deren "vorstaatliche" Legitimation. In diesem Zusammenhang spricht er die Täter an: "Ihre Menschenrechte wollen wir ihnen ja nicht nehmen, eher schon ein paar hundert Euro für die, die unter ihnen gelitten haben." Kurz brandet Beifall auf. Dann verliert sich die kleine Ansammlung vor der künstlerisch umstrittenen Gedenkmauer. Der gescheiterte Wowereit-Herausforderer Friedbert Pflüger (CDU) bezeichnete auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT die Neuauflage des rot-roten Senats als "noch immer unbegreiflich" nach all den Verbrechen des SED-Regimes. "Ohne Not", so Pflügers Resümee, habe die SPD "dieses Bündnis fortgesetzt".

Ein Bündnis, von dem die Interessengemeinschaft der Berliner Mauergrundstücke bestimmt keine Hilfe erwarten kann. Mittendrin, zwischen Versöhnungskirche und Gedenkstätte, steht auf einem Bürgersteig beinahe verloren deren Vorstand Joachim Hildebrandt. Er beklagt die in der Öffentlichkeit und in der Politik schon längst ad acta gelegten Fälle der in Berlin enteigneten Mauergrundstücke (JF 45/06), die - im Unterschied zu den Enteignungen entlang der innerdeutschen Grenze auf ehemaligem DDR-Gebiet - schon allein aufgrund des damals geltenden Viermächtestatus illegitim waren. Auf einem Transparent, das - weil er hier allein kämpft - auf dem Boden ausgelegt ist, wird nach den "Roten Socken in der Justiz" gefragt. Hildebrandt kämpft, vertreten durch den Anwalt Karl Alich, noch immer für seine "Nichtigkeitsfeststellungsklage", durch welche die Eigentümerschaft der Enteigneten bei den Berliner Mauergrundstücken doch noch umstandslos anerkannt werden soll.

Administrativ verordnete Gedenkkultur

Bisher weigert sich der Gesetzgeber. Nach einer Entscheidung aus den neunziger Jahren konnten die Enteigneten ihr Grundstück für 25 Prozent des Verkehrswertes "erwerben". So auch der Eigentümer der Fläche zwischen Versöhnungskirche und Mauerdenkmal an der Bernauer Straße. Hierfür kann dieser aber keinen Investor mehr gewinnen, weil das Grundstück wegen der Gedenkstätte nicht mehr bebaut werden darf. So beugt die administrativ verordnete Gedenkkultur das Recht des Eigentümers. Hildebrandt ist in seinem Kampfeswillen ungebrochen, weiß aber auch um die Versäumnisse in der Wendezeit: den Enteigneten hätte die "anarchische Kraft gefehlt, die Spontanität". Man hätte es wie die linke Hausbesetzerszene machen müssen und die Grundstücke "wie ein Heuschreckenschwarm" einfach besetzen müssen. Die Politik hält sich da lieber abseits.


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