© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/06 17. November 2006

Der Mann, den Markus Wolf haßte
Gerhard Löwenthal: Die DDR-Staatssicherheit wollte den Fernsehjournalisten ermorden. Diesen Schluß legt eine ZDF-Dokumentation nahe
Peter Freitag

Der langjährige Moderator des ZDF-Magazins, Gerhard Löwenthal, hat wie kaum ein zweiter Fernsehjournalist im Visier der DDR-Staatssicherheit gestanden. Auf den inzwischen verstorbenen Streiter für die Einheit Deutschlands und gegen jede Form von Totalitarismus waren allein mehrere Dutzend Spitzel angesetzt, womöglich plante die Stasi sogar Anschläge auf sein Leben. Das legt jedenfalls die zweiteilige Dokumentation "Die Feindzentrale" nahe, die an diesem Donnerstag (23.45 Uhr) und Freitag (0.10 Uhr) im ZDF ausgestrahlt wird. Darin schildert der stellvertretende Leiter des Kulturmagazins "aspekte", Christhard Läpple, wie die Stasi das ZDF seit dessen Gründung 1963 ausspionierte. Als die Verantwortlichen des Mainzer Senders im Dezember 1987 zuerst Löwenthal, wenig später das "ZDF-Magazin" aus dem Programm kippten, sollen in der Berliner Stasi-Zentrale die Sektkorken geknallt sein.

Der 1922 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Berlin geborene Gerhard Löwenthal gehörte zu jenen Journalisten, die das Unrecht im SED-Staat beim Namen nannten und zum Thema ihrer Sendungen machten; dadurch zog der streitbare Fernsehmann nicht nur den Haß des realsozialistischen Regimes auf sich, sondern auch die Schmähungen westdeutscher Linker, die ihn - mit "Enthüllungen" aus der Ostberliner Hauptabteilung "Aufklärung" versorgt - zum "Kalten Krieger" abstempelten.

Wie stark sich die DDR-Oberen von Löwenthal provoziert fühlten, macht eine Bemerkung deutlich, die der letzte Woche verstorbene Markus Wolf 1991 in einem Interview der Zeitschrift Bunte fallenließ. Auf die Frage, welchen Deutschen er hasse, antwortete der sonst so feingeistig fabulierende ehemalige Stasi-General ungewohnt knapp und offenherzig: "Den Löwenthal vom ZDF. Der einzige Mensch, bei dem ich nicht ruhig bleiben kann."

Sollte daher die Stasi-Hauptabteilung Aufklärung, deren Chef Markus Wolf bis 1986 war, sogar geplant haben, Gerhard Löwenthal zu ermorden? Laut Angaben des Spiegel und der FAZ, die am Montag jeweils über die Recherchen des ZDF-Journalisten Christhard Läpple berichteten, soll sich Löwenthals Sohn dahingehend geäußert haben. Auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT präzisierte Thomas Löwenthal, daß er im April 2005 dem Interviewer gesagt habe, eine Anschlagsplanung der Staatssicherheit auf seinen Vater liege "im Bereich des Wahrscheinlichen". Laut Spiegel läßt sich ein Mordauftrag "aus den vorhandenen Unterlagen der Rechercheure allerdings nicht belegen".

Tatsächlich haben in den Archiven der Stasi nur wenige Unterlagen über Gerhard Löwenthal die Revolution von 1989 "überlebt", wie bereits der Historiker Hubertus Knabe in seiner Veröffentlichung über den Einfluß des MfS auf die Westmedien ("Der diskrete Charme der DDR") festgestellt hatte. Knabe mutmaßt, daß das Material über den prominenten Feind gesondert vernichtet worden ist, damit die Diskreditierungsmaßnahmen der Stasi nicht ans Licht kommen.

Belege eines gegen den von Löwenthal mitbegründeten Verein "Hilferufe von drüben" gerichteten Operativvorgangs "Kontra" gibt es indes zuhauf. Allerdings sind auch hier die durchnumerierten Aktenordner zur Person Löwenthal allesamt leer, was tatsächlich auf eine gezielte Beseitigung schließen läßt. 1980 hatte die Stasi mit der "Bearbeitung" dieses "Feindobjekts" begonnen und "operative Maßnahmen" eingeleitet. Dazu gehörte vor allem die "Verunsicherung und Diskriminierung leitender Mitarbeiter". Dies sollte unter Zuhilfenahme westlicher Massenmedien geschehen, denen "Material" über die angebliche Verbindung Löwenthals zu westlichen Nachrichtendiensten "zugespielt" wurde; einbinden wollte man vor allem Löwenthals "persönliche Gegner im eigenen Lager (ZDF, Stern)", wobei das Hamburger Magazin mindestens einmal auf solches "Material" ansprang. Laut Knabe waren im Operativvorgang "Kontra" insgesamt 83 Inoffizielle Mitarbeiter auf den Verein angesetzt worden.

Im Dezember 1984 sollte ein Treffen der kleinen Menschenrechtsorganisation, die sich vor allem für die Freilassung politischer Häftlinge in der DDR einsetzte, Ziel einer Stasi-Aktion werden, deren minutiöse Planung in den Akten erhalten blieb.

Durch fingierte schriftliche Drohungen angeblich rechtsextremer Kreise sollten Journalisten, Vereinsmitglieder und der Besitzer des Tagungslokals eingeschüchtert werden; bis in alle Einzelheiten waren die "Drohbriefe" oder -anrufe vorformuliert. Die letzte Steigerung des Szenarios sah einen Brief an "Hilferufe"-Mitarbeiter vor, in dem vom plötzlichen und unerwarteten Tod des Vereinsvorsitzenden "durch einen tragischen Unglücksfall" zu lesen war.

Auch wenn sich diese Aktion nicht gegen Gerhard Löwenthal persönlich richtete und kein tatsächliches, sondern ein fingiertes Attentat zum Kalkül der Stasi gehörte, veranschaulichen der Aufwand und die Dimension dieses Vorgangs gegen eine relativ kleine Gruppe entschiedener DDR-Gegner im Westen, wie ernst diese vom SED-Regime genommen wurden.

Die zweiteilige Dokumentation "Die Feindzentrale" wird an diesem Donnerstag (23.45 Uhr) und Freitag (0.10 Uhr) ausgestrahlt.

Foto: Gerhard Löwenthal am 4. April 1984 in Wiesbaden während der fünfhundertsten Sendung des ZDF-Magazins: Streiter für die Einheit Deutschlands


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen