© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/06 17. November 2006

Frühreif, aber kein Wunderkind
"Wie wenig Genuß und Gewinn meine Freiheit mir bringt": Klaus Mann zum hundertsten Geburtstag
Thorsten Hinz

Der Simplicissimus karikierte 1925 den damals 19jährigen Klaus Mann, wie er dem grimmig dreinblickenden Thomas Mann auf die Schulter tippt. "Du weißt doch, Papa. Genies haben niemals geniale Söhne, also bist du kein Genie." Man sieht: Klaus Mann war schon in ganz jungen Jahren im Kulturbetrieb ein Begriff. Um dahin zu kommen, setzte er hemmungslos auf den familiären Prominentenfaktor, und er gefiel sich in der Rolle des Rebellen wider die Väterwelt.

Das schwierige Vater-Sohn-Verhältnis, die Labilität, Drogensucht, die promiskuitiv ausgelebte Homosexualität des Sohnes sind spätestens seit der ARD-Serie über die Mann-Familie bekannt. Er hatte sie selber in zahlreichen Romanen, Novellen und Dramen thematisiert, nur ist davon kaum etwas geblieben. Klaus Mann war frühreif, aber kein Wunderkind wie Hugo von Hofmannsthal, den er so gern zitierte. Belangvoller sind seine Autobiographie "Der Wendepunkt", seine Briefe, Tagebücher und Essays, in denen er ohne den schiefen fiktionalen Überbau als Kind seiner Zeit erscheint.

Im März 1933 ging er ins Exil nach Frankreich. Von dort schrieb er im Mai einen Brief an Gottfried Benn. Gleich im ersten Satz gab er sich als ein "leidenschaftlicher und treuer Bewunderer" Benns zu erkennen, um ihn dann wegen des Verbleibs in der gleichgeschalteten Preußischen Akademie der Künste frontal zu attackieren. Es fällt dann der Satz, der immer wieder zitiert wird, um ein "deutsches Verhängnis" zu belegen: "Erst die große Gebärde gegen die 'Zivilisation' - eine Gebärde, die, wie ich weiß, den geistigen Menschen nur zu stark anzieht -; plötzlich ist man beim Kultus der Gewalt, und dann schon beim Adolf Hitler."

Benn sprach ihm in einer Rundfunkrede zwei Wochen später die soziale Erfahrung und politische Urteilsfähigkeit ab. Mann gehöre zu den "Amateuren der Zivilisation und Troubadouren des westlichen Fortschritts", doch die "opportunistische Fortschrittsauffassung" sei "bankerott". (Das Wort "bankerott" enthält eine doppelte Spitze gegen Klaus Mann, gehörte es doch zu den leitmotivischen Vokabeln der liebenswerten, aber dummen Tony Buddenbrook aus dem Roman des Vaters.) Das Europa, auf das er sich berufe, stehe dort, "wo es nicht bestechen und schießen kann, (...) wohl recht kläglich da". Im Dritten Reich gehe es "gar nicht um Regierungsformen, sondern (...) vielleicht um die letzte großartige Konzeption der weißen Rasse, wahrscheinlich um eine der großartigsten Realisationen des Weltgeistes überhaupt, präludiert in jenem Hymnus Goethes 'An die Natur' (...)."

Benn hat diesen Gedanken noch in einigen weiteren Aufsätzen höchst geistvoll entfaltet, um dann einzusehen, daß seine idealistische Deutung des Nationalsozialismus diesen verfehlte. Später hat er eingeräumt, daß Klaus Mann politisch hellsichtiger war als er. Doch darin erschöpft die Bedeutung dieser kurzen, scharfen Auseinandersetzung sich längst noch nicht. Über das Jahr 1933 hinaus blieben Gemeinsamkeiten zwischen Benn und Mann bestehen, ja Klaus Mann näherte sich Positionen an, die Benn so ordinär nie vertreten bzw. von denen er sich längst verabschiedet hatte.

Der Kommunismus konnte Klaus Mann nicht locken

Benn sah die deutsch-europäische Kultur und Lebenswelt im Zangengriff der kommunistischen Sowjetunion ("die zwei Millionen bürgerlicher Intelligenz erschlug") und eines unverhüllten Kapitalismus. Den europäischen Liberalismus hielt er für unfähig, dagegen Dämme zu setzen. Geistig knickte er vor dem kommunistischen Fortschrittspathos ein, und politisch erwies er sich als Türöffner eines zügellosen Ökonomismus. Der Nationalsozialismus war für ihn der Versuch, aus der Mitte Europas heraus eine neue geistige und politische Lebensform zu kreieren.

Mann dagegen sah in der liberalen Gesellschaft die Kehrseite dessen, was er kulturell und lebensweltlich für schützenswert hielt. Darin war er von großer Konsequenz und blieb, im Unterschied zu anderen bürgerlichen Intellektuellen, von den Verlockungen des Kommunismus unbeeindruckt. Auf dem Ersten Kongreß der Sowjetschriftsteller in Moskau 1934 stachen ihm der Führer- und Heroenkult, der Militarismus, die naive nationalistische Selbstgefälligkeit unangenehm ins Auge.

In Amerika, in das er sich 1938 als letzten vermeintlichen Hort bürgerlicher Freiheit flüchtete, erahnte er die Intention von Benns Antiliberalismus. Der Tagebucheintrag vom 10. August 1941, niedergeschrieben in New York, beginnt mit Benns Gedicht "Einsamer nie als im August", das die Erhitzung und Beschleunigung des Lebens ("die roten und die goldenen Brände") benennt, denen kein Sinn zugrunde liegt und daher keine Erfüllung folgt. Die zweite Strophe thematisiert die auf den Tauschwert zurückgeführte Existenz und ihre Überwindung in der Askese: "Wo alles sich durch Glück beweist / und tauscht den Blick und tauscht die Ringe / im Weingeruch, im Rausch der Dinge, / dienst du dem Gegenglück, dem Geist."

Klaus Mann fand in der Stimmung des Gedichts sein eigenes amerikanisches Lebensgefühl wieder: "Ich wandere nachts durch diese heißen, dunklen Straßen, immer in Schweiß gebadet, immer allein. Ich atme diese feuchte, schwere, mit Sinnlichkeit geladene Treibhaus- und Dampfbadluft. (...) Wie wenig Genuß und Gewinn meine Freiheit mir bringt." Amerika war nicht seine Welt. "Das "'Gegenglück', dem ich zur Zeit diene", fuhr er fort, "heißt Decision", die 1941 von ihm selbst gegründete "Review of Free Culture", eine Rundschau für freie Kultur, welche laut Editorial "kein Sprachrohr für europäische Flüchtlinge sein", sondern "wirksam werden (sollte) als ein Instrument, um die Beziehungen zwischen amerikanischer und europäischer Geisteswelt zu intensivieren". Obwohl er hochberühmte Autoren gewann (Auden, Cocteau, Sartre, Heinrich und Thomas Mann usw.), waren die finanziellen Schwierigkeiten unüberwindbar. Ein Mäzen wollte zwar eine größere Summe hergeben, aber nur unter der Bedingung, daß Klaus Mann von seinem Vater als Herausgeber abgelöst würde. Der Sohn fand sich eingeklemmt zwischen schierer Geldnot und der Empörung über die Reduktion eines Kulturprojekts auf den Reklamezweck. In Briefen an seine Eltern vom 11. und 20. April 1941 geriet er in eine bestürzende Nähe zum antiamerikanischen NS-Jargon. Den möglichen Mäzen nennt er erst einen "vermögenden Juden", dann einen "erfolgreichen Spekulanten" und "vulgären Krösus". Dieser sei "keineswegs ein Scheusal", sondern "mehr mongolisch als ordinär-semitisch von Aussehen" und ausgestattet mit "einem gewissen rüden Scharfsinn und (...) darauf versessen, mit berühmten Künstlern intim zu sein". Nachdem ein geplantes Treffen mit ihm nicht zustande gekommen war, nannte er ihn einen "dummen Geldsack", einen "ungehobelten Schieber", schließlich "eine Sau". Nach einem Jahr war endgültig Schluß mit der Zeitschrift. Er schrieb an seine Mutter: "Ich bin furchtbar traurig. Nicht nur, oder nicht einmal vor allem, wegen des Verlustes der Zeitschrift selber oder wegen all der vergeblichen Müh und Plag, sondern weil das ganze Schlamassel mir so recht vor Augen rückt, wie wenig man unsereinen in dieser fragwürdigen Welt will, braucht und würdigt."

Der Konflikt zwischen West und Ost war ihm unerträglich

Mit der gleichzeitigen Ablehnung von Kommunismus und Vulgär-Kapitalismus rückte Klaus Mann an die Seite von Benn. Gemeinsam waren ihnen die Desillusionierung und das Scheitern, auch wenn ihre Illusionen unterschiedlich waren. Benn hatte kurzzeitig auf ein geistig, kulturell, politisch, biologisch erneuertes Deutschland gehofft, Klaus Mann an die Beständigkeit einer liberalen, europäischen Kultur- und Zwischenwelt geglaubt. Der Ausbruch des Kalten Krieges besiegelte das Ende dieser Hoffnung, und er entwertete auch den Sieg über den Nationalsozialismus, an dem er nach seinen Kräften mitgewirkt hatte.

Benn und Mann schickten sich beide in die Niederlage, der eine stoisch, der andere verzweifelt. In seinem letzten Essay "Die Heimsuchung des europäischen Geistes" hat Klaus Mann 1949 dargelegt, daß ihm die ideologische Auseinandersetzung zwischen Ost und West unerträglich war. "Der Kampf zwischen den beiden anti-geistigen Riesenmächten - dem amerikanischen Geld und dem russischen Fanatismus - läßt keinen Raum mehr für intellektuelle Unabhängigkeit und Integrität." Er schlug einen kollektiven Selbstmord der "hervorragendsten, gefeiertsten Geister" vor, um "die Völker aufzuschrecken aus ihrer Lethargie".

Diesmal blieb seine politische Urteilskraft hinter der von Benn zurück. Für seine Person hatte er es ernst gemeint. Vor hundert Jahren, am 18. November 1906 in die Welt des Münchner Bürgertums hineingeboren, vergiftete sich Klaus Mann im Mai 1949 in einem schäbigen Hotelzimmer im südfranzösischen Cannes.

 

Klaus Mann, Sohn von ...

Er war homosexuell. Er war süchtig. Er war der Sohn von Thomas Mann. Also war er dreifach geschlagen", lautet ein früheres Diktum Marcel Reich-Ranickis. Wie unterkühlt, distanziert und entfremdet das Verhältnis zwischen Klaus Mann und seiner Familie, insbesondere zum "Zauberer", zum Schluß war, läßt sich an dem Umstand ablesen, daß die Eltern - nachdem sie auf einer Skandinavienreise die Nachricht vom Selbstmord ihres Sohnes erhielten - der Beerdigung ihres Ältesten fernblieben. Nur sein Bruder Michael nahm an der Beisetzung auf dem Friedhof in Cannes teil.


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