© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/06 17. November 2006

Die Museen leeren sich
Rückgabe nach New York
Fabian Schmidt-Ahmad

Für satte 38 Millionen US-Dollar - ein weit größeren Betrag als vom Auktionshaus Christie's erwartet - wurde vergangenen Mittwoch die "Berliner Straßenszene" von Ernst Ludwig Kirchner versteigert. Neuer Besitzer des Gemäldes ist die Neue Galerie für deutsche und österreichische Kunst in New York. Damit dürfte die an Merkwürdigkeiten nicht arme Geschichte um die höchst umstrittene Herausgabe des expressionistischen Schlüsselwerkes um eine Pittorekse reicher sein.

Denn hinter der Galerie steht der US-Multimilliardär Ronald Lauder (62), Erbe des Kosmetikkonzerns Estée Lauder und einer der bedeutendsten Kunstsammler der Welt. Auf Betreiben Lauders richtete der jüdische Weltkongreß - dessen Vizepräsident Lauder ist - eine "Kommission für Kunstsicherung" ein. Diese Lobby strebt die "Rückübertragung" von wenigstens 110.000 Kunstobjekten aus ehemaligem jüdischen Besitz an.

110.000 Kunstobjekte im Wert von bis zu dreißig Milliarden US-Dollar - das ist auch die Größenordnung, mit der Vertreter der Bundesregierung 1998 auf der Washingtoner Konferenz konfrontiert wurden. Auf dieser Konferenz sicherte Deutschland die Identifikation und Rückgabe von "durch Nationalsozialisten beschlagnahmte" Kunst zu. Eine Vereinbarung mit interessanten Merkmalen. Beispielsweise sollen Gerichte bei Feststellung des Rechtsanspruchs berücksichtigen, "daß aufgrund der verstrichenen Zeit und der besonderen Umstände des Holocaust Lücken und Unklarheiten in der Frage der Herkunft unvermeidlich sind" - was von deutscher Seite offenbar als Umkehrung der Beweislast gedeutet wird, wie jetzt die Herausgabe der "Berliner Straßenszene" zeigt.

Weiße Wände zeugen vom reinen Gewissen

Das wichtigste Argument, mit dem die Restitution des Werkes verteidigt wurde, war der Umstand, daß eine Quittung für den Kaufpreis nicht ausfindig gemacht werden konnte. Nun ist das Fehlen einer siebzig Jahre alten Quittung kein Beweis für eine "Beschlagnahme" - eher schon Ausdruck dafür, daß auf der Welt alles vergänglich ist - außer der menschlichen Dummheit.

Dieser Präzedenzfall stößt derweil bei amerikanischen Anwaltskanzleien auf großes Interesse, die sich auf diese Art von Fällen spezialisiert haben (JF 36/06). Aber es gibt Hoffnung. Das Berliner Brücke-Museum, in dem Kirchners "Straßenszene" bisher zu bewundern war, besitzt noch Reproduktionen des weltberühmten Gemäldes - für nur vier Euro! Das kann sich auch ein überschuldeter Staat leisten, um die sich leerenden Museen zu füllen.

Vielleicht ist dies aber auch gar nicht nötig. Vielleicht sollte man einfach die Leerstellen zeigen - als Ausdruck einer weißen, wirklich ganz und gar weißen Weste. Wer allerdings an der Rigips-Ausstellung des deutschen Gewissens keine rechte Freude findet, dem sei in Zukunft ein Flugticket nach New York empfohlen: um wenigstens einen Teil jener Gemälde zu sehen, die in absehbarer Zeit aus Museen verschwinden werden. Denn auch ein Ronald Lauder kann nicht alles aufkaufen.


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