© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/06 17. November 2006

Frisch gepresst

Volksdeutsche. Die ersten beiden Beiträge des vom Warschauer Historiker Jerzy Kochanowski und seiner Kollegin Maike Sach vom dortigen Deutschen Historischen Institut (DHI) herausgegebenen Bandes über "Die 'Volksdeutschen' in Polen, Frankreich, Ungarn und der Tschechoslowakei" (Fibre Verlag, Osnabrück 2006, 431 Seiten, gebunden, 35 Euro) sollte man schnell überblättern. Denn hier verbreiten zwei ideologische Handlanger, Ingo Haar vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung und der für das Haus der Wannseekonferenz tätige Gerhard Wolf, wofür sie bezahlt werden: Desinformation und falsches Bewußtsein. Haar versucht im Rahmen seiner Ausführungen über die "sozialbiologische Gruppenkonstruktion" der Vertriebenen die Mär zu erzählen, die Vertreibung sei eine "unvermeidliche Reaktion" auf die "NS-Genozidpolitik" und nicht etwa Folge des "radikalen Nationalismus slawischer Völker". Wolf präsentiert die deutsche Volksgruppe in Polen mittels erzkommunistischer Agitprop-Erzeugnisse zu deren angeblicher "Diversionstätigkeit am Vorabend der Hitlerfaschistischen Aggression" als "5. Kolonne". Dem US-Chinesen Winston W. Chu bleibt es mit seiner freilich nicht über Otto Heikes alte Arbeiten hinausgelangenden Studie zur deutsche Minderheit in Polen zwischen 1919 und 1939 vorbehalten, in mehr wissenschaftliches Fahrwasser zu steuern. Soweit es nicht die deutsch-polnischen Beziehungen angeht, herrscht diese Sachlichkeit ansonsten vor, auch in den Beiträgen über die Slowakei- wie über die "Reichs- und Sudetendeutschen". Zu den peinlichsten Fehlern dieses Bandes zählt übrigens, daß Christiane Kohser-Spohn den mit Weltruhm bedeckten deutsch-jüdischen Mediävisten Harry Bresslau nicht nur falsch schreibt, sondern ihn uns als "Mediziner" vorstellt.

Böhmens Historiker. Auch dieser Band über "Geschichtsschreibung zu den böhmischen Ländern im 20. Jahrhundert" (herausgegeben von Christiane Brenner, K. Erik Franzen, Peter Haslinger und Robert Luft. Oldenbourg Verlag, München 2006, 483 Seiten, gebunden, Abbildungen, 59,80 Euro) kommt nicht ohne ein unwissenschaftliches Kuckucksei aus: Das Lamento des einschlägig bekannten, immer noch im DDR-Stil gegen die Vertriebenenverbänden agitierenden Samuel Salzborn über die "Volksgruppenkonzeption der Sudetendeutschen Landsmannschaft" darf man also getrost ignorieren. Unter den ansonsten auf wesentlich höherem Niveau stehenden Aufsätzen sind Josef Harnas leider etwas zu knappe Studie zur Konstruktion einer "tschechischen Nation" in der tschechischen Historiographie der Zwischenkriegszeit, Pavel Kolářs Untersuchung über die deutschen "Volkshistoriker" an der Prager Universität sowie seine Übersicht über die nationalgeschichtlichen "master narratives" der tschechischen Geschichtsschreibung nach 1945 besonders zu empfehlen. Unerwartet sachlich und moralinfrei geraten auch die beiden materialreichen Aufsätze über die Reinhard-Heydrich-Stiftung und den Volkskundler Josef Hanika.


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