© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/06 24. November 2006

Unter Zedern und Zypressen trauern die Engel
"Der Tagesanbruch des Lebens": Weiter führt der Spaziergang durch Roms Totenstädte und Knochenkeller
Paola Bernardi

Fortsetzung von Seite 11

Wer hier auf Verano begraben liegt, hatte es im Leben zu etwas gebracht. Wer zu Lebzeiten in den feinen römischen Vierteln wie Parioli oder an der Via Veneto wohnte, möchte auch über den Tod hinaus sein Ansehen wahren. Die teuersten Plätze auf diesem 1835 angelegten Friedhof gibt es auf dem kleinen Hügel, Pincio oder Pincetto genannt. Dort oben stehen die schönsten Grabmäler, mal klassisch oder barock, mal antikisierend oder romantisch verschlungen, Gründerzeit oder postmodern. Vielfältig die steinernen Memento mori, verziert mit Kuppeln, Skulpturen, Pyramiden, Stelen und natürlich Kreuzen: Mitunter gleichen sie Mausoleen oder sechseckigen Sommerhäuschen. Sie sind mit Gittertüren versehen, und man kann sie betreten, kann in ihrem Innern verweilen wie in einer Totenstadt. An den Wänden stehen bereits die Namen der noch Lebenden, die hier einst begraben werden wollen; ganze Sippen werden hier im Tode wieder vereint.

Wer kein Geld und keine Beziehungen in Rom hat, der landet am Ende seines Lebens auf dem Cimitero Flaminio. "Prima Porta" nennen die Römer diesen Friedhof, der erst 1941 eröffnet wurde. Welch ein Gegensatz zu Verano. Hier entstand eine riesige moderne Totenstadt, die mit ihren mehrstöckigen Wohnhäusern den tristen Vierteln mancher Vorstädte gleicht.

Kleine Busse kurven durch die breiten Friedhofstraßen: eine gewaltige Anlage, in der Hochhaus neben Hochhaus steht. Braune Vorhänge verstärken noch den traurig-düsteren Eindruck. Drinnen führt eine geschwungene breite Auffahrt die Stockwerke hinauf. Grabfach an Grabfach reiht sich in jedem Stockwerk. Auf Schiebeleitern muß man klettern, wenn man "seinen Toten" ganz oben hat. Hunderte liegen hier in den Schubfächern der Wände. Nur die kleine Namenstafel mit dürren Daten, mitunter mit einer winzigen Blumenvase verziert, gibt Auskunft über ein ganzes Leben dieses eingemauerten Toten.

Daß man die Toten nicht nur in Gräber versenkt oder ihnen marmorne Paläste für die Ewigkeit baut, das zeigen römische Klosternekropolen. Der bekannteste "Knochenkeller" gehört den Kapuzinern auf der Via Veneto. Aus den Skeletten von über viertausend Menschen wurden hier im 18. Jahrhundert Wandfriese und kunstvolle Ornamente gelegt. Aus Rückenwirbeln entstanden Bordüren, aus Unterkieferknochen wurden Medaillons geschaffen, und Lampen hängen an den Ketten von Unterschenkelknochen. Man sieht ganze Friese aus Schulterblättern, und aus Rippen entstanden große Ornamente in Blumenform. Der Tod wird hier zur Sehenswürdigkeit. Angesichts des Entsetzens der Besucher lächelt der Pater, der durch die Räume führt, milde. "Der Tod ist nicht das Ende, sondern der Tagesanbruch des Lebens", sagt er. "Nur heute wird es immer mehr verdrängt", setzt er hinzu. 


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