© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/06 01. Dezember 2006

Brennende Orientierungsmarken
Linksextremismus: Brandanschläge werden von Theoriediskussion begleitet / Attentäter hoffen auf Solidarisierungseffekte
Georg Pfeiffer

Seit etwa fünf Jahren macht in und um Berlin eine Gruppe von Brandstiftern und Drohbriefschreibern auf sich aufmerksam. Etwa 20 Brandanschläge werden diesem Personenkreis, der unter dem Namen "Militante Gruppe (mg)" auftritt, von den Ermittlungsbehörden bislang zugeschrieben. Sie richten sich gegen Kraftfahrzeuge und Gebäude der Polizei oder der Bundeswehr, Gerichte, Ämter, Autohäuser, Kaufhausfilialen und gegen Wirtschaftsinstitute wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (JF 22/06).

Erstmals aufgefallen war die Gruppe mit Drohbriefen gegen Verhandlungsführer der "Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft", die Spenden für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter sammelte. Dem an Otto Graf Lambsdorff gerichteten Schreiben etwa war eine scharfe Patrone und die Parole "Auch Kugeln markieren einen Schlußstrich" beigefügt. Die Polizei war mit ihrer Fahndung bislang erfolglos. Sie hält für möglich, das sich hinter dem Namen, mit dem Drohbriefe und Bekennerschreiben unterzeichnet sind, eine Gruppe mit wechselndem Mitgliederkreis verbirgt.

Dabei findet parallel zu den Anschlägen in Blättern der sogenannten "Autonomen Szene" wie Interim oder radical eine muntere Diskussion über den Einsatz "militanter" Mittel statt, an dem sich diese Gruppe - Authentizität der Unterzeichnung unterstellt - rege beteiligt. Sie selbst ordnet sich der "radikalen Linken" zu. Der Verfassungsschutz hält sie für linksextremistisch.

Ideologischer Hintergrund ist die Anschauungswelt der "Autonomen Szene". Zentrales und bei aller Fraktionierung gemeinsames Element ist das "Anti". Der Mensch sei in der Gesellschaft zahlreichen Unterdrückungsmechanismen ausgesetzt wie etwa Rassismus, Patriarchat, Kapital und Imperialismus. Dagegen mit im Prinzip allen Mitteln vorzugehen, fühlen sich die "Autonomen" legitimiert. Die Wahl der Mittel folgt taktischen, nicht grundsätzlichen oder moralischen Erwägungen. Sie ist an den "Entwicklungsstand des revolutionären Prozesses" anzupassen.

Kontraproduktivität wird in Kauf genommen

Die innere Widersprüchlichkeit des Anti-Ansatzes führt zu permanenten Fraktionierungen und Problemen, die in immer gleichen Kreisen diskutiert werden. So kann eine "antipatriarchalische" - feministische - Aktion leicht in den Verdacht geraten, rassistisch zu sein, und umgekehrt. Auch antiimperialistische Haltungen gelten anderen schnell als antizionistisch und rassistisch. Dementsprechend stellt die Fraktion der Antideutschen die Bekämpfung des Rassismus über die des Imperialismus und gelangt so mitunter zu einer positiven Bewertung der amerikanischen und israelischen Außenpolitik. Die "Antiimps" sehen es andersherum. Deutschland gilt vielen als die Inkarnation sämtlicher Unterdrückungsmechanismen überhaupt und nimmt in der Runde der Feindbilder einen prominenten Platz ein.

Eine positive Zielvorstellung, wie Welt und Gesellschaft denn beschaffen sein sollten, um den revolutionären Kampf einstellen zu können, ist nicht ersichtlich und spielt in der Debatte keine Rolle. Gelegentlich greifen die Autoren auf Spielarten des "dialektischen und historischen Materialismus" zurück. Diese Lehre postuliert, daß die inneren unlösbaren Widersprüche des Kapitalismus zwangsläufig zu einer vom Proletariat getragenen Revolution und über die anfängliche Diktatur des Proletariats zu einer klassenlosen Gesellschaft führten, in der es keine unlösbaren Widersprüche mehr gebe.

Mit militanten Aktionen geben die Akteure vor, dem von der Gruppe bevorzugten Unterdrückungsapparat Widerstand zu leisten. Dabei wird die oft offensichtliche Wirkungslosigkeit oder sogar Kontraproduktivität in Kauf genommen oder sogar ausdrücklich befürwortet. Sie bewirkt dann eben eine Verschärfung der Widersprüche und damit eine Verstärkung des revolutionären Kampfes.

Gelegentlich werden aber auch näherliegende Ziele eingeräumt. So wollen die bekennenden Terroristen mit ihren Aktionen oft "Orientierungsmarken setzen" und beweisen, daß "Widerstand" möglich sei. Häufig wollen sie in aktuellen politischen Debatten die als "links" definierte Seite stärken und ihren Argumenten Nachdruck verleihen. Die Akteure hoffen auch auf einen Solidarisierungseffekt der Szene oder gar der Masse. Eine solche Solidarisierung ist ihnen auch deshalb wichtig, weil sie den Kreis der Tatverdächtigen erweitert und so den "Repressionsdruck" auf den wirklichen Täter mindert.

Schlichte Denkstrukturen

Manchmal ist der Anschlag nur eine als angemessen empfundene Form der Meinungsäußerung: "Selbst wenn wir die endgültige Lösung auch nicht vorweisen können, wollen wir uns nicht damit abfinden, einfach nur zuzusehen und uns unser Plätzchen im Trockenen zu sichern." Darüber hinaus sollen gelungene Anschläge als Erfolgserlebnis den Kombattanten ihren eingeschlagenen Weg bestätigen, den Zusammenhalt der Gruppe festigen und die politische und revolutionäre Entwicklung der Teilnehmer fördern. Als Problem wird angesehen, daß erfolgreiche Anschläge - gerade bei "Gruppen mit Markenzeichen" wie der "Militanten Gruppe (mg)" - die Täter einerseits in der Szene isolieren und andererseits in der Szene zu einer Art Hierarchie führen können, die wiederum Unterdrückung und Spaltung bedeuten kann.

Aufschlußreich ist das Verhältnis zu Moral und Anstand. Moral ist vor allem ein Mittel der Rekrutierung: "Für viele MittelschichtsaktivistInnen erfolgt die Politisierung und Radikalisierung in der Regel über moralische Bedenken und ist nicht Resultat der unmittelbar erfahrenen Unterdrückung (eine nicht allzu gewagte These, die vornehmlich auf weiße Metropolenmänner zugeschnitten ist)." In der weiteren Entwicklung soll der Probant sich dann über mehrere Schritte weiter politisieren und militarisieren und moralische Skrupel dabei überwinden.

Diese schlichten Denkstrukturen sind erstaunlich erfolgreich. Der Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2005 schätzt die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten in Deutschland auf über 25.000. Hierbei fällt gewiß ins Gewicht, daß dieser Personenkreis durch staatliche Initiativen wie den "Aufstand der Anständigen" oder den "Kampf gegen Rechts" moralische und materielle Unterstützung erfährt. Bei zahlreichen Anlässen wie etwa Demonstrationen "gegen Rechts" scheuen häufig auch Parteien, Gewerkschaften und selbst Kirchen die Nähe mit dieser Szene nicht und bestärken sie so in ihren Bestrebungen.


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