© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/06 01. Dezember 2006

Geldgier bleibt Geldgier
Absolute Schuld und ewige Buße: Zum Streit um die Restitution von Kunstwerken
Wolfgang Saur

In New York herrscht grenzenlose Euphorie. Der amerikanische Kunsthandel erlebt Triumphe, gar einen Rekord der Auktionsgeschichte. Für mehr als 500 Millionen US-Dollar wurden bei Christie's jetzt weltberühmte Bilder versteigert. Unter den Hammer kamen dort: ein Gauguin, Schiele, Modigliani und ein Picasso, sodann vier Spitzenwerke Gustav Klimts, der "Österreichischen Galerie" abgezwungen, dazu die "Berliner Straßenszene" Ernst Ludwig Kirchners aus dem Brücke-Museum. Allein dieses Meisterwerk ging für 38 Millionen US-Dollar weg (JF berichtete).

Die Branche befindet sich in einem fieberhaften Rauschzustand. Es geht um die Erstattung von ehemals jüdischem Kunstbesitz. Den Wiedergutmachungen der 1950er bis 1980er Jahre folgte 1990 eine neue Welle, die die Restitutionsproblematik "entgrenzte" - Ausdruck einer Holocaust-zentrierten Geschichtspolitik, von kulturellen Universalisierungsprozessen und amerikanischem Spektakel. Nun dynamisiert die üppige Rückgabepraxis den Markt, macht Anwälte heiß und professionalisiert die Erben, was den Druck auf hiesige Museen weiter verschärft. Angst geht um.

Also höchste Zeit für einen Krisengipfel im Kanzleramt. So versammelte Bernd Neumann dort vergangene Woche Betroffene und Experten, Museumsleute, Galeristen und Vertreter der Stiftungen. Gleich trommelte die Jewish Claims Conference (JCC) entrüstet: Als wichtiger Akteur gehöre sie dazu. Wo-rauf der Minister pflichtschuldigst einknickte und einen zweiten Termin auf den 4. Dezember ansetzte.

Die amtliche Verlautbarung enttäuscht. "Washington 1998" stehe nicht zur Disposition, Deutschland bekenne sich uneingeschränkt zu seiner moralischen Verantwortung. Immerhin wolle man die "Handreichung" (2001) modifizieren, um Entscheidungen transparenter, koordinierter, nachvollziehbarer zu machen. Das wirke "friedensstiftend" zwischen "allen Beteiligten", versachliche die "emotionale Diskussion" und diene der "Aufklärung". Viel verspricht man sich vom Ausbau der Informationsbasis: sogenannte "Provenienzforschung" - Herkunftsklärung von Kunst als der Weisheit letzter Schluß.

Doch fällt primär ins Auge, daß sich rein gar nichts ändert - am moralischen Maximalismus nämlich und der Erfüllungspolitik, die die deutsche Agenda weiter bestimmen. Die JCC weiß das zu schätzen. Es dürfe keinerlei "Verfalls- und Haltefristen" für Ansprüche geben.

Absolute Schuld und ewige Buße bleiben auch künftig das eherne Gesetz deutscher Realität. Lachhaft wirkt, wer da ein "Recht auf Unantastbarkeit" unserer Kunst einfordert. Tatsächlich aber geht es um eine Kontroverse. Die läßt sich nicht simpel einebnen - mit "Moral" gar und schönen Worten. Verlogene Harmonieformeln suggerieren Entschärfung. Die wird es nicht geben. Doch statt den Interessenkonflikt zu benennen und sich entschlossen zu positionieren, berauscht man sich an Informationsprogrammen und flüchtet in Wissensvermehrung. Eine Illusion, denn: Provenienzforschung ist teuer, sie erfordert akribische Recherche. Dafür aber fehlen die Mittel.

Zudem führen keine Aktenberge aus dem Dilemma, sind doch Informationen nicht das eigentliche Problem. Das sind vielmehr die unerfüllbaren Kriterien, die man den Institutionen aufzwang. Das Rechtsgutachten des Senats zur Causa Kirchner verdeutlicht den Punkt fatal: Die dreifache Umkehr der Beweislast ist praktisch unerfüllbar. So gilt es, a) den damaligen Preis des Kunstwerks als authentisch zu erweisen, b) dessen faktische Auszahlung zu dokumentieren und c) plausibel zu machen, dieses Geschäft hätte zu anderer Zeit ebenso stattgehabt. Das kann niemand leisten.

Bund und Länder selbst haben diese für Antragsteller überwältigend günstige Rechtslage geschaffen. Am Anfang stand die Washingtoner Konferenz 1998 über Restituierung jüdischer Vermögenswerte. Sie lenkte schon in gefährliches Fahrwasser. Auf der deutschen Seite unter dem Vorsitz Michael Naumanns setzten sich Maximalisten und Verharmloser durch - gegen alarmierte Diplomaten. Die sahen schon eine "Schaffung neuer unbegrenzter Restitutionsansprüche" voraus, sprachen die Amerikaner doch von 110.000 Kunstobjekten im Gesamtwert von geschätzten 30 Milliarden US-Dollar. Allein, die Vorgaben änderten sich nicht, allen Warnungen zum Trotz.

So hat Deutschland die aktuelle Restitutionskampagne schließlich selbst provoziert. Die (nicht rechtsverbindliche) internationale Erklärung ging 1998 von im Dritten Reich "beschlagnahmter Kunst" aus. Deutsche Juristen weiteten den Begriff von "Raub" auf "Verkäufe" aus. Das ergab die prekäre Kategorie "NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut". Betroffen waren Verkäufe im In- und Ausland, überhaupt wurde die "Vermutungsregel" ausgedehnt auf alle Rechtsgeschäfte.

Das Ergebnis ist fatal: Der unheilige Verbund von subjektiver Gier, neoliberalem Marktverhalten, universalistischen Heilsvorgaben und antifaschistischer Geschichtstheologie erzeugt einen unwiderstehlichen "Synergieeffekt". Was nackte Kommerzialisierung erzwingt, wird pseudomoralisch drapiert durch eine Metaerzählung, deren Primat Deutschland sich auch künftig unterwerfen soll.

Im Zentrum steht die Heiligkeit der Opfer, ein religiöser Fluchtpunkt, der für unantastbar gilt und desto zynischer funktioniert. Nichts ist so begehrt wie der Status des Opfers - wohlbemerkt: sein Status, nicht seine Leiden. Genau umgekehrt wird "Opferschaft" desto attraktiver, je mehr sie von realer Erfahrung entkoppelt ist. Der leidende Mensch verdient all unser Mitgefühl und Hilfe. Doch ist sein Wesen nicht übertragbar, entzieht sich strategischer Aneignung. Weshalb rein materiellen Interessen also einen moralischen Nimbus aufsetzen?


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