© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/06 01. Dezember 2006

"Füße verlieh er dem Kreuz"
Die beiden Werke über das Hakenkreuz von Karlheinz Weißmann und Lorenz Jäger ergänzen sich vorzüglich
Malte Schleicher

Trotz aller Symbolpolitik, die das Hakenkreuz aus dem öffentlichen Raum zu verbannen sucht und seine Verwendung als politisches Zeichen unter Strafe stellt, ist es auch heute noch allgegenwärtig: ein Symbol, das nicht verschwinden will. Allzusehr verwundert dies nicht, insofern es bekanntlich das Sinnbild desjenigen Kapitels der deutschen Geschichte ist, dessen Aufarbeitung der allgemeinen Staatsräson zugerechnet wird. Nun kann man eine verderbliche Ideologie zwar auszurotten suchen, die Erinnerung an sie aber dennoch und gerade dadurch aufrechterhalten, und ein Zeichen kann man abbilden und dabei durchstreichen - jedoch bleibt es aufgrund seines nichtdiskursiven Charakters auch in dieser Form unmittelbarer und wirksamer präsent als jede Ideologie. Es erscheint dem übersensibilisierten Betrachter sogar dort als anstößig, wo, wie zum Beispiel auf "Antifa"-Buttons, sein affirmativer Gebrauch angeprangert wird oder wo es, etwa auf indischen Lederknöpfen, welche die Firma Ésprit unlängst in einem Katalog abbildete, gar nicht gemeint ist und nur mit einiger Phantasie hineininterpretiert werden kann.

Angesichts der sich daraus zuweilen ergebenden juristischen Provinzpossen, die die Politisierung eines archaischen Symbols durch den Nationalsozialismus mit umgekehrtem Vorzeichen fortschreiben, ist es zu begrüßen, daß Karlheinz Weißmann und Lorenz Jäger - erstaunlicherweise zur selben Zeit und doch offenbar völlig unabhängig voneinander - soeben zwei Bücher vorgelegt haben, die die jahrtausendaealte vorpolitische Geschichte des heute so verstörenden Zeichens in Erinnerung rufen und dabei mit einer Fülle erstaunlicher Details aufwarten: Zwar ist noch halbwegs bekannt, daß es sich bei der Swastika um ein indisches Glückszeichen und wohl um ein uraltes, über die indogermanische Völkerfamilie hinaus verbreitetes Sonnen- und Heilssymbol handelt, das sich auf trojanischen Tonscherben ebenso wie auf Speerspitzen der Völkerwanderungszeit findet, doch wer weiß, daß auf dem Ärmelabzeichen der 45. US-Infanteriedivision bis zum Zweiten Weltkrieg ein Hakenkreuz prangte oder daß ein kanadisches Goldgräberdorf noch heute "Swastika" heißt?

Karlheinz Weißmann, der sich mit seinen Büchern zur Symbol- und Ideologiegeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts längst einen Namen gemacht hat, zeigt auch in seinem neuesten Werk über "Das Hakenkreuz - Symbol eines Jahrhunderts" die gewohnte Souveränität, mit der er sein umfangreiches Material handhabt und die Verwendung der Swastika auch in deren Sonderformen von der Vorgeschichte bis zu politischen Splittergruppen der Gegenwart, von okkultistischen Zirkeln der Jahrhundertwende über die NS-Esoterik bis zu modernen subkulturellen Bewegungen dokumentiert und illustriert. Das Buch besticht durch klaren, stringenten Aufbau: Weißmann beginnt mit der Problematik der heutigen Beziehung zum Hakenkreuz, dessen Schillern zwischen Tabu und Präsenz, diskutiert sodann Namen, Ursprung und Bedeutung der Swastika, skizziert die Forschungslage - an der die Überalterung zumindest der seriösen Untersuchungen auffällt - und behandelt in mehreren chronologisch aufgebauten Kapiteln die archäologische Wiederentdeckung, esoterische Sinnbefrachtung und letztendliche Politisierung des Zeichens. Dabei zeigt sich, daß die geschaffene Aura der Swastika immer das Fundament ihrer politischen Vereinnahmung bildete, ohne daß man Personen wie die Begründerin der Theosophie, Helena Petrowna Blavatsky, dafür unmittelbar verantwortlich machen könnte. Sie haben das Zeichen allerdings mit einer so starken, im einzelnen unterschiedlichen, aber stets positiven Bedeutung aufgeladen, daß es einerseits konkret genug war, um wegen seiner "arischen" Herkunft Zielen wie der Errichtung eines großdeutschen oder großgermanischen Reiches eine über jede Programmatik hinausgehende Weihe zu verschaffen. Andererseits blieb es doch vage genug, um den verschiedensten Wünschen als Projektionsfläche zu dienen - entsprechend hat Hitler auch stets vermieden, eine bestimmte Deutung der Swastika zu fixieren.

Geradezu komplementär zu Weißmanns Darstellung verhält sich Lorenz Jägers aus neunzehn essayistischen Kapiteln bestehendes Werk, obwohl der Titel "Das Hakenkreuz - Zeichen im Weltbürgerkrieg" ein ähnliches Vorhaben anzukündigen scheint. Der unmittelbare zeitgeschichtliche Bezug tritt etwas zurück zugunsten der "metapolitischen" Makrostrukturen, die Jäger mit bewunderungswürdiger Plastizität beschreibt, und auch den archäologischen und religionswissenschaftlichen Aspekten, die er gleichwohl miteinbezieht, gilt nicht das Hauptinteresse des FAZ-Redakteurs und Kritikers der Frankfurter Schule. Dieses liegt vielmehr im Spannungsfeld von Literatur, Esoterik und hochgradig ästhetisierten Lebensformen, bei einflußreichen Sonderlingen wie dem "Münchner Kosmiker" Alfred Schuler, dem entlaufenen Mönch, Rassenesoteriker und "Theo-Zoologen" Georg Lanz von Liebenfels oder bei Fritz von Herzmanovsky-Orlando, dem Dichter einer skurril-verkauzten Donaumonarchie, bei großen Abseitigen wie Stefan George und Gottfried Benn oder bei den unbekannten Seiten von "Etablierten" wie Rudyard Kipling, dem Schöpfer des Dschungelbuchs, oder Kaiser Wilhelm II., der in seinem Exil in Doorn unter dem Einfluß Leo Frobenius' mit Hakenkreuzforschungen dilettierte. Vom Extremen aber geht der Begriff aus.

Nicht am Allgemeinen, sondern am Besonderen zeigt sich die Signatur eines Zeitalters am deutlichsten - diese Maxime Walter Benjamins hat Jäger bei seinen Darstellungen offenkundig geleitet. Ein wenig erinnert seine Verfahrensweise selbst an das Bild der Swastika: Jedes der locker verbundenen Kapitel hat sein Zentrum in der wie auch immer motivierten Bezugnahme der behandelten Person auf das Hakenkreuz, und von diesem Mittelpunkt aus zieht Jäger seine Linien in verschiedenste Richtungen - nicht ohne dabei auch zackige, wenngleich keineswegs rechtwinkling-vorhersehbare Wendungen zu machen. "Füße verlieh er dem Kreuz" heißt es in einer merkwürdigen Swastika-Dichtung von Schuler über Odin, dessen Selbstopfer in der Weltesche der mythisierende Dichter mit der Kreuzigung Jesu parallelisiert. Und Jägers oft von bildlichen Konstellationen ausgehendes Denken verfolgt die Bewegung eines randständigen Zeichens durch die Lager des Weltbürgerkriegs - eines Zeichens, in dem "das sakral aufgefaßte Ganze", als Kreis und Kreuz zusammen vorgestellt, "in die Wirklichkeit gestaltend eingreift".

Gegensätzlich ist auch das Fazit, zu dem die beiden Bücher gelangen: Während Weißmann nach seiner faktenorientierten Darstellung fast überraschend hervorhebt, daß das Hakenkreuz ein besonders "mächtiges Symbol" sei, das an die "Tiefenstruktur" des Bewußtseins appelliere und aufgrund seiner Vieldeutigkeit heute in Umkehrung seiner ursprünglichen Bedeutung als Unheilszeichen fortlebe, resümiert Jäger, nachdem er diese Tiefenstruktur ausgelotet und ihre Abbildungen an der kulturellen Oberfläche beschrieben hat, lakonisch: "Außerhalb dieser Glaubensgemeinschaften" - gemeint sind Hindus und Jainas - "und jenseits von kleinen, marginalisierten Gruppen ist die Geschichte des Hakenkreuzes in Europa zu Ende."

Man muß beide Bücher gelesen haben, um sich hierzu ein Urteil bilden zu können.

Karlheinz Weißmann: Das Hakenkreuz - Symbol eines Jahrhunderts. Edition Antaios, Schnellroda 2006, 176 Seiten, broschiert, Abbildungen, 22 Euro

Lorenz Jäger: Das Hakenkreuz - Zeichen im Weltbürgerkrieg. Eine Kulturgeschichte, Karolinger Verlag, Wien 2006, 247 Seiten, gebunden, Abbildungen, 26,90 Euro

Foto: Postkarte aus den USA, etwa 1915: Das Hakenkreuz lebt heute in Umkehrung seiner ursprünglichen Bedeutung als Unheilszeichen fort


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