© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/06 01. Dezember 2006

Frisch gepresst

Gigantismus. Seit mehreren Jahren wirbt ein Berliner Theater mit dem Stück "Ich bin's nicht, Adolf Hitler ist es gewesen", dessen Werbeplakate oft von ausländischen Touristen umringt sind. Die sind dann augenscheinlich aber mehr am dargestellten "Germania"-Entwurfs einschließlich "Großer Halle" im Zentrum der Hauptstadt denn am Theater interessiert. Der Wiener Publizist Michael Ellenbogen hat sich dieser speziellen Faszination angenommen, dank derer der Gigantismus der Nationalsozialismus auch heute noch erstaunt oder erschreckt. Dabei war die rücksichtslose Stadtplanung nur ein Auswuchs des Zeitgeistes, den totalitäre Regime freilich kompromißloser umzusetzen trachteten. So dürfte zum Beispiel Le Corbusiers "Plan Voisin" in Frankreich kaum die Chance auf Umwandlung Paris' zum Hochhausschachbrett gehabt haben. Ellenbogen beschreibt neben Berlin auch noch weitere Projekte (Linz, Hamburg, München, Nürnberg etc.), die nach dem "Endsieg" in Angriff genommen werden sollten. Über die architektonischen Großvorhaben hinaus weist er auf ebenso gigantomanische Planungen im Verkehrswesen (Auto- und Breitspurbahn) oder der Wehrtechnik (Panzer P 1000, oder Amerika-Bomber) hin, die mehr noch als etwaigen Größenwahn das unbedingte Vertrauen in das Gewaltige offenbaren (Gigantische Visionen. Architektur und Hochtechnologie im Nationalsozialismus. Ares Verlag, Graz 2006, 263 Seiten, gebunden, Abbildungen, 19,90 Euro).

Arthur Schnitzler. Der Wiener "Skandalschriftsteller" (1862 bis 1931), dessen beißende Gesellschaftskritik noch die dahindämmernde k.u.k.-Monachie in Aufregung zu versetzen vermochte, wurde nach 1918 - erst recht nach seinem "Reigen" - zunehmend mit Schlüpfrigkeiten in Verbindung gebracht, was seinen Ruhm zusehends verblassen ließ. Renate Wagner, Wiener Kulturjournalistin, hat sich nun Schnitzler anläßlich seines 75. Todestages biographisch genähert. Da dieser einer der großen Diaristen der deutschen Literatur war, dessen 1981 veröffentlichten pedantischen Tagebuchnotizen vom siebzehnten Lebensjahr bis zwei Tage vor seinem Tod reichen, kann sie wenig fundamental Neues präsentieren. So erweitert sie die Kenntnis des Lesers über Schnitzlers viele Liebschaften, die sie stets in Beziehung zum Werk oder der oft kritischen Rezeption setzt (Wie ein weites Land. Arthur Schnitzler und seine Zeit. Amalthea Verlag, Wien 2006, 359 Seiten, gebunden, Abbildungen, 24,90 Euro).


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