© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/06 08. Dezember 2006

"Ein neues 'Jena und Auerstedt'"
Der ehemalige Kommandeur des KSK Reinhard Günzel über Afghanistan, die Bundeswehr und sein neues Buch
Moritz Schwarz

Herr General, auf dem Nato-Gipfel in Riga kursierte die These: "Die Zukunft des Bündnisses entscheidet sich in Afghanistan".

Günzel: Afghanistan ist die Nagelprobe. Im Kalten Krieg blieb die Nato unbesiegt, hat im Gegenteil am Ende über die UdSSR triumphiert. Danach hat sie ein neues Selbstverständnis gesucht und ist vom atlantischen Sicherheitsbündnis zur globalen Interventionsmacht geworden. Nun droht in Afghanistan dieses neue Konzept zu scheitern.

Wird es scheitern?

Günzel: Die Sowjets sind in Afghanistan nie besiegt worden und dennoch gescheitert. Das gleiche sehe ich für die Nato voraus. Wir werden nie besiegt werden, aber am Ende, vielleicht erst in vielen Jahren, scheitern.

Warum?

Günzel: Weil die beiden Ansätze, die wir verfolgen, völlig verfehlt sind. Erstens das Konzept des "Kriegs gegen den Terror": Der Terror ist eine Form der bewaffneten Auseinandersetzung, wie der Blitzkrieg oder der Partisanenkrieg. Gegen eine Form kann man aber nicht Krieg führen. Das, um was es eigentlich geht, bleibt dabei außen vor. Der "Krieg gegen den Terror" ist wie der "Kampf gegen Rechts", eine Propagandaformel, die sich irgendwann erschöpft haben wird. Dann werden alle darüber den Kopf schütteln und sich fragen, wie man auf so einen Unsinn hereinfallen konnte. Zweitens: Die absurde Vorstellung, wir könnten ein Land wie Afghanistan demokratisieren. Im Grunde geht es darum, unser System überzustülpen. Für diese Hybris werden wir den Preis zahlen müssen.

Wenn die Nato scheitert. Was kommt dann?

Günzel: Schwer zu sagen. Die Nato wird sicher nicht untergehen. Vielleicht wird sie nach Europa zurückkehren. Europa braucht ein System der kollektiven Sicherheit.

Immer lauter wurde vor dem Nato-Gipfel der Vorwurf der "Feigheit" etwa aus den USA, England, Kanada oder Dänemark, weil Berlin, die Bundeswehr nicht auch in den Süden Afghanistans schicken will (siehe Seite 9). Nun hat der ehemalige Generalinspekteur Klaus Naumann vor wenigen Tagen verlangt, der Forderung nachzukommen. Was würde das für die Bundeswehr bedeuten?

Günzel: Die Bundeswehr würde mit ziemlicher Sicherheit den ersten wirklichen Kampfeinsatz in ihrer Geschichte erleben: Von der Luftwaffe und der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) einmal abgesehen, haben wir zwar schon manches Scharmützel, aber noch nie mit Infanterie einen echten Kriegseinsatz bestanden. Das ist auch nicht verwunderlich, entspricht dies doch der Strategie der Bundeswehr, möglichst den Kampf zu vermeiden. Diese Leitidee kommt auch in unserer Besatzungspolitik zum Ausdruck: Wir stehen mit über 2.850 Soldaten in relativ ruhigen Abschnitten, nämlich der Hauptstadt Kabul und im Norden in Masar-i-Scharif, Kundus, Faisabad und grenznah im usbekischen Termiz. Aber es ist nicht deshalb relativ ruhig, weil die Bundeswehr dort stationiert ist, sondern die Bundeswehr ist dort stationiert, weil es relativ ruhig ist. Würde man in den Süden gehen, wie Naumann fordert, etwa in die umkämpfte Region Kandahar, könnte man sich fragen, ob damit ein grundlegender Wechsel im Denken der Bundeswehr stattfindet.

Nämlich, den Kampf zu suchen?

Günzel: Zumindest ihm nicht mehr gezielt auszuweichen. Sie müssen bedenken, die Bundeswehr ist über Jahrzehnte mit Schlagworten wie: "Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen" erzogen worden. Die Frage ist also, würde die Bundeswehr einen solchen Einsatz aushalten, bei dem nicht im Ausnahmefall Einzelne, sondern innerhalb von Tagen Dutzende und Dutzende von Soldaten fallen können?

Und, könnte sie das?

Günzel: Das Problem ist, daß die Einsätze der Bundeswehr im Grunde allesamt keinen militärischen, sondern politischen Charakter haben. Entscheidend ist oft gar nicht der konkrete Nutzen, sondern vielmehr die Signalwirkung. Im Süden fänden wir uns aber plötzlich in einer echten Gefechtsfeldsituation wieder. Plötzlich würde aus Außenpolitik Krieg und der politisch gemeinte Einsatz bekäme wieder einen militärischen Charakter. Darauf sind wir innerlich nicht vorbereitet, weder die Bundeswehr noch die Politik noch unser Volk. Weil sich die Politik dieser unkalkulierbaren Konsequenz aber wohl bewußt ist, wird es nach meiner Ansicht derzeit keine Mehrheit im Bundestag für einen solchen Einsatz geben. Darum werden wir wohl noch einige Zeit mit dem Makel der Feigheit leben müssen.

Traditionell profiliert sich die Bundesrepublik lieber als treuer Bündnispartner, statt einen außenpolitischen Primat im Sinne eines nationalen Interesses zu formulieren. Droht da nicht der internationale Druck langfristig den Widerstand zwangsläufig zu erweichen?

Günzel: Das ist das Problem, wer sich nicht aus sich selbst heraus, sondern nur über die Anerkennung anderer definiert, der ist natürlich ihrem Liebesentzug letztendlich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Ein Kampfeinsatz wäre schließlich nur der letzte Schritt in einer Entwicklung, die schon vor Jahren begonnen hat, als sich Deutschland auf Auslandseinsätze eingelassen hat, die nicht seiner nationalstaatlichen Logik, sondern einer angelsächsischen Logik entsprechen. Oder vulgo: Wer A sagt, wird aber auch einmal B sagen müssen. Wir haben geglaubt, wir beteiligen uns symbolisch und können uns auf diese Weise im Grunde raushalten. Die Wahrheit ist, nicht einmal die Amerikaner haben die Kontrolle über diese Konflikte. Sogar sie, aber erst recht wir, unterliegen letztlich der Dynamik der Ereignisse, in die wir uns haben verwickeln lassen.

Fühlen sich die Soldaten der Bundeswehr nach Ihrer Einschätzung durch den Vorwurf der Feigheit getroffen?

Günzel: Das glaube ich nicht, allerdings aus keinem erfreulichen Grund. Die Truppe ist über Jahrzehnte in einem Duktus erzogen worden, der jeden klassischen soldatischen Ehrbegriff vermieden hat. Der Schöpfer der Inneren Führung, Graf Baudissin, hat öffentlich erklärt, für ihn gebe es keine soldatischen Tugenden! So wurde schließlich der Dienst zum "Job", der Kamerad zum "Kollegen", der "Staatsbürger in Uniform" ersetzte den in seine spezifischen Traditionen gebetteten Soldaten. Ob aber eine solche Armee im Kampfeinsatz bestehen wird, das ist die große Frage. Unsere politische und militärische Führung meint: Das klappt! Ich befürchte, daß so eine Armee scheitern wird. Wäre das nicht so, hätten alle großen Militärs der Geschichte alles falsch gemacht. Warum halten die einen im Angesicht des Todes aus, und die anderen laufen davon? Weil sie keine Angst vor dem Tode haben? Weil sie besser bezahlt werden? Weil sie das bundesdeutsche "Soldatengesetz", die Innere Führung oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung mehr lieben als ihr Leben? Das Studium der Geschichte zeigt, es war immer das besondere militärische Ethos, die moralische Verpflichtung, seinen Kameraden, seiner Heimat und seiner Tradition treu zu bleiben, die solche Leistungen bewirkt haben. Es war der Wunsch, keine Schande über sein Regiment, seine Fahne, seine Altvorderen zu bringen.

Sie haben zusammen mit den ehemaligen Kommandeuren der GSG 9 und der Wehrmachtsdivison Brandenburg, den Generälen Ulrich K. Wegener und Wilhelm Walther, das Buch "Geheime Krieger. Drei deutsche Kommandoverbände im Bild" veröffentlicht.

Günzel: Walther, den ich seit Jahren sehr gut kenne, führte mit der 1939 aufgestellten Division Brandenburg die erste Spezialeinheit der Wehrmacht, und Wegener, der "Held von Mogadischu", der 1977 die Landshut befreite, gründete mit der GSG 9 die erste Spezialeinheit der Bundesrepublik.

War es Ihre Absicht, mit dem Buch den eben beschriebenen Traditionsfaden zu spinnen?

Günzel: Eindeutig. Walther, Wegener und ich wollten die drei berühmtesten deutschen Spezialeinheiten nicht einfach nebeneinanderstellen, sondern eine Traditionslinie aufzeigen. Das KSK hat bei seiner Gründung 1996 viel von der GSG 9 gelernt, und Wegener wiederum hat für die Aufstellung der GSG 9 im Jahre 1973 intensiv die Brandenburger studiert. Aber es geht nicht nur um diese fachliche Traditionslinie. Der Kommandosoldat, in dem ein ganz anderes Feuer brennt und der vor ganz anderen Herausforderungen steht als der herkömmliche Soldat, wurzelt emotional viel tiefer in seinen Vorbildern. Ich bin sicher, daß jeder Kommandosoldat des KSK die Geschichte der Brandenburger so genau kennt, als wäre er dabeigewesen.

Das Buch stellt damit natürlich eine Provokation für das offizielle Traditionsverständnis der Bundeswehr dar.

Günzel: Aber ganz eindeutig. Wenn Sie bedenken, daß der Traditionserlaß nur die preußischen Reformer, den 20. Juli 1944 und die Bundeswehr selbst gelten läßt, dann ist unser Buch natürlich ein Affront. Deshalb wird es offiziell ja auch totgeschwiegen.

Immerhin, die Zeitschrift "Die Bundeswehr" des Deutschen Bundeswehrverbandes fand in ihrer Besprechung lobende Worte, ebenso wie die "Deutsche Militärzeitschrift", während der Berliner "Tagesspiegel" oder die "Welt" den Band als politisch inkorrekt geißelten.

Günzel: Die Rezension der Bundeswehr hat mich in der Tat überrascht. Aber das spricht doch für beide Seiten, für die Bundeswehr und für unser Buch!

Wie waren die persönlichen Reaktionen Ihnen gegenüber?

Günzel: Durchweg positiv. Besonders hat mich gefreut, daß unter den Lobenden auch etliche aktive Kameraden waren.

Warum ein Bildband? Ist das nicht eine zu oberflächliche Form, um das politisch korrekte Traditionsverständnis der Bundeswehr herauszufordern?

Günzel: Sicher hat ein Bildband seine Schwächen. Andererseits ist er anschaulicher und leichter zugänglich als ein Textband, und man kann deshalb auf eine größere Verbreitung und mehr Wirkung hoffen.

Ist aber Ihr von außen geführter Kampf um das Traditionsverständnis letztlich nicht aussichtslos?

Günzel: Das glaube ich nicht. Denn erstens bin ich überzeugt, daß die schweigende Mehrheit der Bundeswehrsoldaten nicht mit dem Traditionserlaß von 1982 einverstanden ist. Und zweitens wird sich die Bundeswehr ändern müssen, wenn sie die Herausforderungen, die auf sie zukommen - und das werden früher oder später auch Kampfeinsätze sein -, bestehen will. Man traute doch seinen Ohren nicht, als man den Inspekteur des Heeres Hans-Otto Budde 2004 bereits den "archaischen Kämpfer" fordern hörte! Das Problem ist nur, daß sich die Bundeswehr nicht in weiser Voraussicht ändern wird. Denn die, die derzeit noch die Führungsschicht der Truppe bevölkern, verdanken überwiegend ihren Aufstieg dem opportunen Bekenntnis zu den bisher vertretenen Werten. Leider wird unsere Armee wohl erst ein neues "Jena und Auerstedt" erleben müssen, bevor sich etwas ändert. Das tut mir leid und ich wünschte, dies meiner Truppe ersparen zu können. Ich sehe also mit Sorge in die nahe Zukunft, aber mit viel Zuversicht in die Zeit, die danach kommen wird.

 

Reinhard Günzel, General a.D. war von 2000 bis 2003 Kommandeur des Kommando Spezialkräfte (KSK), der Elitekommandoeinheit der Bundeswehr, die seit 2002 in Afghanistan im Einsatz ist. Der ehemalige Fallschirmjäger, Jahrgang 1944, studierte Geschichte und Philosophie. Zusammen mit dem ehemaligen General der Wehrmacht Wilhelm Walther und dem Schöpfer der GSG 9, Ulrich K. Wegener, veröffentlichte er im Herbst den Bildband "Geheime Krieger. KSK, Brandenburger, GSG 9. Drei deutsche Kommandoverbände im Bild" (Pour le Mérite, 2006)

 

Stichwort: "Feigheit vor dem Feind":

Alliierte Militärs beklagen, die Bundeswehr habe im September einen Hilferuf ignoriert und so den Tod kanadischer Soldaten in Süd-Afghanistan verschuldet. Die Vorwürfe sind fraglich. Dahinter steckt möglicherweise, Berlin zum Einsatz im umkämpften Süden zu bewegen.

 

Stichwort: "Bundeswehr in Afghanistan"

Seit Januar 2002 beteiligt sich die Bundeswehr mit nunmehr gut 2.850 Mann an der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (ISAF). Sie führt mit dem Abschnitt Nord eines von fünf Nato-Regionalkommandos. Zudem stehen 400 Soldaten in der Hauptstadt Kabul und 21 Fernmelder in Kandahar im Süden. Über 500 Nato-Soldaten sind bislang gefallen, davon 18 deutsche. Sechs starben durch Anschläge und Minen, die übrigen bei Unfällen. Insgesamt kamen bis heute bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr 64 Soldaten um.

 

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