© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/06 08. Dezember 2006

Georgiens Schicksal ist auch das von Europa
Die Kaukasus-Republik und ihr Blick nach Westen: "Wir wollen zur Außengrenze der EU werden" / Rußland kämpft mit allen Mitteln dagegen
Christian Dorn

Wenn Deutschland im kommenden Jahr den EU-Vorsitz übernimmt, wird es sich in stärkerem Maße gegenüber Georgien - und damit gegenüber Rußland - positionieren müssen. Während Rußlands WTO-Beitritt in greifbare Nähe rückt, nachdem Wa-shington und Moskau Ende November eine entsprechende Vereinbarung unterzeichneten, erhält die von Rußland bedrängte Kaukasusrepublik ein neues Gewicht gegenüber ihrem übermächtigen Nachbarn.

Denn die einstige Imperialmacht, die der hegemonialen Vergangenheit des Sowjetreichs nachtrauert, ist die letzte große Wirtschaftsmacht, die der 149 Mitglieder umfassenden Welthandelsorganisation noch nicht angehört. Doch der bis Mitte 2007 avisierte Beitrittsprozeß ist erst vollendet, wenn alle Mitgliedsstaaten ihre Zustimmung gegeben haben.

Von Georgien, das 1999 der WTO beitrat, steht diese noch aus, so daß es offensichtlich von Rußlands Entgegenkommen abhängen wird, wann die Kaukasusrepublik grünes Licht signalisiert. Dies dürfte aber erst dann passieren, wenn Rußland das vor Monaten verhängte Einfuhrverbot für Georgiens Hauptexportgut Wein zurücknimmt. Dieses wurde von Rußland offiziell mit Hygienebedenken begründet, diente aber augenscheinlich der Einschüchterung und Bestrafung jener Länder, die sich in ihrer politischen Unabhängigkeit gen Westen orientieren.

Beispielhaft wird dies am Beispiel Moldawiens, das wie Georgien vom Einfuhrverbot betroffen war. Am Rande des jüngsten Gipfels der GUS-Staaten in der vergangenen Woche in Minsk "einigte" es sich mit Rußland und stimmte dessen WTO-Beitritt zu, während Rußland im Gegenzug versprach, das Handelsverbot wieder aufzuheben - bemerkenswerterweise, ohne die vorgeblichen Hygienebedenken überprüft oder revidiert zu haben.

Vor dem Hintergrund der gespannten Situation war der Deutschlandbesuch des georgischen Außenministers Gela Beschuaschwili Ende November von besonderem Interesse. Am dritten Jahrestag der "Rosenrevolution", des friedlichen Machtwechsels in Georgien, hielt er einen Vortrag in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Dabei betonte er das "gemeinsame Schicksal" mit Europa - schließlich sei die Umwälzung vor drei Jahren eine "europäische Revolution" gewesen.

Seither, so die in der Tat beeindruckende Erfolgsgeschichte, hat Georgien schmerzafte Reformen hinter sich gebracht und ist mit ersten Erfolgen gegen das Übel der Korruption vorgegangen. Georgien zählt zu den erfolgreichsten Transformationsländern, die Weltbank setzte es kürzlich auf Platz eins unter den neuen Demokratien.

Mit Blick auf die von Rußland unterstützten abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien erwartet Georgien nun Hilfe von der internationalen Gemeinschaft. Auf Basis der bisherigen Verhandlungsformate, so Beschuaschwili, seien die Gespräche von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen, da sich Georgien drei gegnerischen Partnern gegenübergesehen hätte. Im Fall Südossetien waren das neben der separatistischen Region selbst Rußland sowie das zu diesem gehörende Nordossetien.

Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, kommentierte im Anschluß daran, daß - anders als ein EU-Beitritt Georgiens - dessen künftige Nato-Mitgliedschaft sichtlich näherrücke, und bemerkte in Richtung Rußland, daß dessen "sicherster Grenzabschnitt gerade jener zu den heutigen Nato-Staaten im Baltikum" sei. Ob Rußland dies begreife, sei allerdings zweifelhaft, da es ein "Verständnis von nahem Ausland" habe, das "uns Westeuropäern fremd" und mit dem es noch nicht in der Gegenwart angekommen sei, erklärte Polenz. Derweil wirbt Gela Beschuaschwili für seine Vorstellung: Ihm zufolge soll Georgien "zur Außengrenze Europas werden".


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