© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/06 08. Dezember 2006

Zauberflötenkommentare
Komische Oper Berlin: H. Neuenfels legt Mozarts Oper in die Hände einer Frau
Jens Knorr

Mozart würde im Grabe routieren, wollte er sich für eine der drei "Zauberflöten" an den Berliner Opernhäusern entscheiden, aber warum sollte er? Vielleicht würde er sich in den Orchestergraben der Komischen Oper schleichen, ob der Besetzung des Orchesters mit historischen Hörnern, Trompeten, Posaunen und Pauken kurz stutzen, sich anstelle des Glockenspielers setzen, die verständigen, nicht hetzenden und nicht schleppenden Tempi von Dirigent Markus Poschner aufnehmen und mit unvorhergesehenen Arpeggi den Papageno mit dem Glockenspiel auf der Bühne aus dem Konzept bringen - so wie er in der Vorstellung am 8. Oktober 1791 Schikaneder aus dem Konzept gebracht hatte. Aber das muß er gar nicht, denn das Konzepttheater des Hans Neuenfels hat die Sängerdarsteller eh schon aus dem Konzept gebracht und auf das seine zugerichtet.

Und damit da keiner ausbricht, haben Elisabeth Trissenaar als Spielleiterin Marie-Louise, Ludwig Blochberger und Alexander Heidenreich als ihre Gehilfen Franz und Xaver die totale Kontrolle über Schikaneders Text übernommen - freilich nicht über Mozarts Musik, die sich jedem herrschaftlichen Zugriff entzieht. Hans Neuenfels glaubt, Mozart hätte nicht Schikaneders Text komponiert, sondern einen eigenen, und er, Neuenfels, endlich diesen, Mozarts Text geschrieben. Aber was seine Schauspieler so daherreden, das mag sich wohl an Mozarts Musik entzündet haben, wie die Musik des Genies sich an Schikaneders Text entzündet hatte - an der Nachschrift hätte sie es nie und nimmer. Mozart hätte Neuenfels einen Papageno geheißen und wäre fortgegangen.

Mozarts Teutsche Oper, in der letztmalig in der deutschen Operngeschichte hohe und niedrige Gattung, Ober- und Unterschicht miteinander auskommen, Aufklärung und Aufklärung über die Aufklärung geheimnisvoll in eins fallen, die kann einen zweiten Papageno gut aushalten.

Der erste Papageno, der des Jens Larsen, ist kein komischer Vogel oder Naturmensch, sondern ein zutiefst frustrierter Prekarier mit Vogelkralle, um sein Leben, sein Sexualleben zumal, betrogen bis zuletzt, da er seine Papagena, Claire Wild, zwar bekommt, aber die mit dem aus der Art Geschlagenen keine Kinder. Larsen singt seine beiden Arien in lebens- wie todesmüdem Andante und die zweite Strophe der zweiten Arie in so fahlem Piano an, daß daraus mehr über die Figur zu hören ist als alle Theaterzeit davor und danach zu sehen.

Die Königin der Nacht der Cornelia Götz reißt sich Hand und Haar und Herz heraus, tut den Gewaltakt, da die Tochter ihr entrissen wurde, sich selbst wieder und wieder an. Der Tamino des Peter Lodahl wird es wohl nie mehr lernen, den Riesenphallus richtig zu blasen, den er von den arg klischeehaft geführten drei Damen der Königin, Bettina Jensen, Elisabeth Starzinger und Hilke Andersen, überreicht bekam. Von Sarastros geschlechtslosen Priestern, mit Nacktheit gepanzert, dürfte da keine Unterweisung zu erwarten sein. Papagenos Zugriff auf die Silberglöckchen, die silberne Hodensäcke sind, ist beherzter.

Mozarts und Neuenfels' Figuren tragen ihre Deformationen in eine "Schlucht des Ausgesetztseins" (Neuenfels) hinein, die der Bühnenraum von Reinhard von der Thannen mehr behauptet als konsequent durchführt, aber was sie miteinander und in sich selbst auszutragen hätten, das lagert Neuenfels denn doch lieber auf seine hinzuerfundenen Figuren aus, amputiert den Sängern Text und Spiel.

Neuenfels suggeriert weder sich noch uns, daß ein naiver Zugang zu Mozarts Zaubertheater umweglos zu haben wäre. Sein Paradies ist verriegelt, und der Diskuswerfer hinter ihm, und auch dieses Mal macht er seine Reise um die Welt, erwandert sich wirklich und wahrhaftig die Straße voll Beschwerden, ganz wie die Geharnischten und Tamino sie sich erwandern. Wenn Neuenfels doch nur nicht an jedem Tresen haltmachen würde, um küchenpsychoanalytische Kommentare abzulassen und aufzuschnappen!

Wie so viele seiner Generation vermag er hinter preßpappenen Toren die Tempel der Weisheit, Vernunft und Natur nicht mehr aufzufinden, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nunmehr nur noch als Barett, Baguette und Bordeaux zu buchstabieren. Darüber aber gehen die drei Knaben, kristallklar und rein gesungen von den Aurelius Sängerknaben Calw Domeni Grundel, Julian Klink und Patrick Schmiederer, ihrer seltsamen Zwischenstellung zwischen den Reichen der Königin und Sarastros, Tag und Nacht, verlustig, avanciert der Monostatos des Peter Renz - ein bißchen Haß muß sein! - zum Quotenneger, wird die Huhu-Szene zwischen Papageno und Monostatos, Urszene aller kulturellen Erfahrung, szenisch so nebenher abgehandelt wie Paminas Todes-arie in g-Moll. Maria Bengtsson vermag Arie und Figur musikalisch-dramatisch zu retten.

Und dann erliegt der gelähmte Sarastro-Zoroaster, James Creswell, in seinem Triumph-Rollstuhl einem tödlichen Herzinfarkt, legen seine Löwen ihre Löwenköpfe ab und steigen hinter dem Chor sich göttergleich dünkender Sterblicher zwei Menschen ans Licht oder in den Schnürboden, Eisensprosse für Eisensprosse. Das ist der Theaterhimmel.

Foto: Pamina (Maria Bengtsson) und Papageno (Jens Larsen): Aus der Art geschlagen

Die nächsten Vorstellungen in der Komischen Oper Berlin, Behrenstraße 55-57, finden statt am 9., 15., 19. und 26. Dezember sowie am 3., 6., 9. und 28. Januar 2007. Kartentelefon: 030 / 47 99 74 00


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