© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/06 08. Dezember 2006

Entschuldigung für eine Kollektivstrafe
In Dänemark hat sich erstmals ein Regierungsvertreter bei der deutschen Minderheit für erlittenes Unrecht nach 1945 entschuldigt
Hans-Joachim von Leesen

Vielen in Dänemark soll es die Sprache verschlagen haben, als sich am 10. Juni dieses Jahres der dänische Unterrichts- und Kirchenminister Bertil Haarder als Festredner beim Jahrestreffen der dänischen Minderheit im nördlichen Schleswig-Holstein bei der deutschen Minderheit im dänischen Nordschleswig für die ungerechte Behandlung nach Kriegsende entschuldigte.

Er gab zu, daß "eine kurze Zeit lang Unrecht gegenüber den Mitgliedern der deutschen Minderheit in Nordschleswig begangen wurde". Zwar seien viele der deutschen Nordschleswiger Nationalsozialisten gewesen, "aber auch diejenigen, die das nicht waren und nichts getan hatten, wurden in großer Zahl im Faarhus-Lager ohne Gesetz und ohne Gerichtsurteil interniert", sagte Haarder 61 Jahre, nachdem die massive Verfolgung der deutschen Minderheit in Dänemark eingesetzt hatte. Der Nordschleswiger, die deutsche Tageszeitung in Dänemark, zitiert ihn, die Dänen müßten heute großmütig (wohl im Sinne von "souverän", v. L.) genug sein, "einzuräumen, daß die 'Rechtsabrechnung' (die Verfolgung der Kollaborateure mit Deutschland, v. L.) zu viele und zu hart bestraft habe. Es ist wichtig, jetzt, nachdem mehr als eine Generation vergangen ist, die Details der Geschichte des dänischen Grenzlandes zurechtzurücken. Eines der Details ist das Unrecht, das gegenüber mehreren tausend in der deutschen Minderheit begangen wurde, die nichts getan hatten, keine Nationalsozialisten waren, trotzdem aber für lange Zeit interniert wurden - einige bis zu zwei Jahren."

Nordschleswiger büßten für dänische Kollaboration mit

In einem Pressegespräch betonte der Minister, daß seine Entschuldigung gegenüber den Mitgliedern der deutschen Minderheit "nach sehr reiflicher Überlegung erfolgt ist. Ich fand die Zeit reif, um mit der Schwarzweiß-Malerei der Besatzungszeit endlich Schluß zu machen". Und er fügte hinzu: "Es gibt noch Wunden in vielen Familien (der deutschen Volksgruppe, v. L.), die ich mit meiner Entschuldigung zu heilen versuche. Und ich fühle mich in dieser Sache auch auf sicherem Grund, vor allem durch die Quellenlage von Historikern, die sich mit diesen Fragen beschäftigt haben." Während in Dänemark diese Erklärung des Ministers große Aufmerksamkeit hervorrief, berichtete keine deutsche Zeitung, kein deutscher Fernsehsender darüber.

Die deutsche Minderheit lebt im nördlichen Teil des historischen Herzogtums Schleswig, das seit 1864 zu Preußen und dann zum Deutschen Reich gehörte, bis nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg die Volksabstimmung 1920 eine dänische Mehrheit von etwa 75 Prozent ergab und der Landesteil Dänemark zugeschlagen wurde.

Seitdem verläuft die deutsch-dänische Grenze nördlich von Sylt und Flensburg, Nördlich davon verblieb eine deutsche Minderheit und südlich davon eine dänische. Beide unterhalten Schulen, Kindergärten, Büchereien ebenso wie nationale Vereine, Kirchen, Sozialstationen. Politisch werden sie jeweils von einer Partei vertreten. Die deutsche Schleswigsche Partei, die vor dem Krieg einen Abgeordneten ins dänische Parlament, den Folketing, entsandte, erzielte ihren größten Erfolg bei der Folketing-Wahl am 3. April 1939 mit 15.000 Stimmen, was etwa 16 Prozent entsprach. Im Zweiten Weltkrieg meldeten sich viele wehrfähige Männer freiwillig zur deutschen Wehrmacht; jene, die dänische Staatsangehörige waren, kämpften in den Reihen der Waffen-SS. Mehr als 700 fielen.

Verständlicherweise bestand zwischen der deutschen Besatzungsmacht und der deutschen Volksgruppe ein Vertrauensverhältnis. Auch übernahmen Freiwillige der Volksgruppe in Organisationen Aufgaben, die der deutschen Wehrmacht halfen, wie Wachtdienste. Als am Kriegsende viele Flüchtlinge über die Ostsee auch nach Nordschleswig kamen, nahm sich die Minderheit mit großem Engagement ihrer in Not geratenen Landsleute an.

Nach dem Krieg begann das, was man in Dänemark die "Rechtsabrechnung" nannte, das heißt die Verfolgung jener, die mit der deutschen Besatzungsmacht zusammengearbeitet hatten. Das hatte zwar auch die dänische Regierung; Dänemark und Deutschland befanden sich nie im Kriegszustand, und die Regierung wie sogar der König hatten öffentlich gebilligt, daß sich dänische Staatsangehörige freiwillig zum Kampf gegen die Sowjetunion in den Reihen der Waffen-SS meldeten. Aber nach dem Krieg argumentierten die Säuberer, die Bevölkerung hätte wissen müssen, daß das alles nur zum Schein und unter Druck geschehen sei.

So schuf man rückwirkende Gesetze, um eine Handhabe zur Bestrafung der Kollaborateure zu haben - egal, ob nun Reichsdänen oder Angehörige der deutschen Minderheit. Ausgenommen von der Verfolgung waren nur die Regierungsmitglieder, die am intensivsten mit dem Deutschen Reich zusammengearbeitet hatten. Es hatte schon seinen Grund, daß die Alliierten während des ganzen Krieges Dänemark nicht als kriegführenden Verbündeten anerkannten - das geschah erst am 5. Juni 1945.

Deutsche Minderheit wurde fester zusammengeschweißt

Die Rechtsabrechnung sollte ebenso wie die schlechte Behandlung der deutschen Flüchtlinge aus Ostdeutschland den Widerstand gegen Deutschland nachholen. Und dazu gehörte auch, daß etwa 3.000 Angehörige der deutschen Minderheit ohne Rechtsgrundlage in eine Art Konzentrationslager gesperrt wurden, das während des Krieges auf Ersuchen der dänischen Regierung in Nordschleswig eingerichtet worden war, um gefaßte dänische Widerstandskämpfer im eigenen Land gefangenzuhalten. Nun zogen ins selbe Lager die Mitglieder der deutschen Minderheit. Der einzige Unterschied: Jetzt nannte man es "Faarhus-Lager". Als man die passenden Gesetze konstruiert hatte, verhängte man über die deutschen Nordschleswiger insgesamt zirka 6.000 Jahre Gefängnisstrafen. Alle deutschen Einrichtungen - Schulen, Kindergärten, Vereinshäuser, Bibliotheken - wurden entschädigungslos enteignet.

Erst später begriffen die Urheber, daß sie damit die deutsche Minderheit zu einer festen Gemeinschaft zusammengeschweißt hatten, mit der Folge, daß in überraschend kurzer Zeit die deutsche Minderheit sich wieder organisierte. Heute ist sie ein selbstbewußter loyaler Teil des Grenzlandes.

Die Entschuldigung eines Mitgliedes der dänischen Regierung zeigt beispielhaft ein bemerkenswertes Maß an Fairneß und Souveränität der dänischen Seite. Bemerkenswert auch, daß nicht etwa eine der jahrzehntelang herrschenden sozialdemokratischen Regierungen sich dazu durchrang, sondern eine betont rechte: Bertil Haarder gehört der nationalliberalen Partei Venstre an, die seit fünf Jahren zusammen mit den Konservativen die Regierung bildet.

Fotos: Abstimmungsgebiet im früheren Herzogtum Schleswig am 10. Februar und 14. März 1920: Nach dem Ersten Weltkrieg erreichten Vertreter der dänischen Volksgruppe, daß in Versailles eine Abstimmung über die nationale Zugehörigkeit in von ihnen vorgeschlagenen Zonen durchgesetzt wurde. In Zone I, nördlich der heutigen Grenze, stimmten 74,2 Prozent für Dänemark, in Zone II 80,2 Prozent für das Deutsche Reich; Prinz Joachim von Dänemark und Frau bei deutscher Volksgruppe, Tondern 1997: Akt der Fairneß


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