© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/06 15. Dezember 2006

Deutschland ist nicht Kanada
Einwanderung: Innenminister Wolfgang Schäuble kritisiert Familiennachzug und Zwangsheirat / Integrationskongreß der Caritas
Anni Mursula

Wir waren nie ein Einwanderungsland, und wir sind es bis heute nicht." Mit diesen Worten überraschte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) vergangene Woche bei der Eröffnung des dreitägigen Integrationskongresses des Deutschen Caritasverbandes in Berlin. Die ungewohnt deutliche Äußerung war eine Replik auf die zuvor gehaltene Rede des Caritas-Präsidenten Monsignore Peter Neher. Schäuble, der nach eigener Aussage "am liebsten nur noch diskutieren" wollte, verzichtete auf sein vorbereitetes Manuskript und sprach frei.

Nach der Rede von Neher, der der deutschen Migrations- und Integrationspolitik massive Fehler vorgeworfen hatte und auf die der Statistik zufolge steigenden Zahlen rechtsradikaler und ausländerfeindlicher Straftaten hinwies, fühlte sich Schäuble offenbar provoziert. Der Innenminister führte an, niemand bestreite, daß es Einwanderung nach Deutschland gebe. "Es gab als Folge von Hitler sicherlich mehr Einwanderung nach Deutschland als in jedes andere Land in Europa." Anders als das Einwanderungsland Kanada habe sich Deutschland aber nie Migranten gezielt ausgesucht und um Menschen mit begehrten Berufen geworben. "Und was hätten Sie von der Caritas nur gesagt, wenn wir das getan hätten?" fragte Schäuble.

In Gegensatz zu Neher, der in seiner Rede beinahe ausschließlich auf die Integrationspflichten des Staates hinwies, bekräftigte Schäuble, daß Integration eine "Zweibahnstraße" sei. Man müsse Einwanderer nicht nur fördern, sondern man auch etwas von ihnen fordern. Als Beispiel nannte er die insbesondere in muslimischen Kreisen verbreitete Zwangsheirat und die Mißachtung der Frauenrechte.

Spracherwerb wird vernachlässigt

Diese Menschen müßten begreifen, wie man hier lebt und welche Werte von Bedeutung seien. Ihnen müsse klargemacht werden, daß es einen gravierenden Unterschied zwischen der "weltlichen und religiösen Ordnung" gebe. Denn nur so könnten Menschenrechte universal gelten. Laut Schäuble ist mangelnde Integration in Deutschland tatsächlich ein Problem. "In den sechziger Jahren hat man geglaubt, die Gastarbeiter seien nur vorübergehend gekommen und die Integration würde sich über die Generationen von alleine regeln", sagte Schäuble. Das ist bekanntlich nicht der Fall gewesen: Heute seien die Kinder und Enkel der Gastarbeiter oft wesentlich schlechter integriert als die erste Generation.

Die meisten Integrationsprobleme habe man hierzulande mit der "türkischstämmigen Bevölkerung", sagte Schäuble. Vor allem der Familiennachzug sei eher "integrationshemmend". Bewußt würden Ehepartner in Anatolien ausgesucht. Auch das Erlernen der deutschen Sprache würde oft vernachlässigt, weil ein Interesse an der hiesigen Gesellschaft fehle. "Viele Eltern wollen gar nicht, daß ihre Kinder sich hier integrieren", sagte Schäuble. Aber wenn sie das nicht wollten, müßten sie sich Gedanken machen, ob hier der geeignete Ort für sie sei. Die Antwort des Staates sei ein besseres Integrationsangebot, "aber auch Druck". Die Eltern dürfe man nicht aus der Verantwortung lassen, betonte der Innenminister.

Insgesamt gebe es heute in Deutschland aber nur noch sehr geringe Zuwanderung. Mehr Einwanderung sei auch keine Lösung für die demographische Katastrophe. Dazu müßten 250 Millionen Menschen nach Deutschland einwandern - und das sei nicht nur unvorstellbar, sondern "würde Deutschland überfordern".

Das Land ist "bunter und vielfältiger"

"Heute haben zwanzig Prozent der Bevölkerung in Deutschland einen Migrationshintergrund", sagte Schäuble. Diese Menschen seien eine Bereicherung und eine Chance für Deutschland, das durch sie "bunter und vielfältiger" geworden sei.

"Aber ich will die Wirklichkeit nicht schöner reden, als sie ist", sagte Schäuble. Es gebe auch viele Probleme, darunter Schleuserkriminalität, Menschenhandel und illegale Einwanderung. Was die langjährig geduldeten Ausländer betreffe, so seien dies alles Menschen, die "von Rechts wegen nicht hier sein dürften", sagte Schäuble und stieß damit beim Publikum auf Ablehnung. Wer ihren Aufenthalt schnell legalisiere, schaffe Anreize für weitere Illegale. Das die Initiative zum jüngst verabschiedeten Gesetz zu Veränderung des Bleiberechts (JF 48/06) gerade von ihm ausging, erwähnte der Innenminister nicht.

Auf die Kritik der Caritas, daß der deutsche Arbeitsmarkt Ausländer aussperre, reagierte Schäuble noch einmal heftig. Bei rund vier Millionen Arbeitslosen hierzulande fördere man Integration nicht, indem man der deutschen Bevölkerung das Gefühl gebe, ihre Arbeitsplätze werden weggeschnappt. "Deshalb verstehe ich die Menschen, die gegen eine freizügige Öffnung des Arbeitsmarktes sind", sagte Schäuble. Wer diese Ängste aber ignoriere, steigere im Endeffekt die Ausländerfeindlichkeit. Und "da werden uns alle Caritasverbände und Monsignores nicht helfen".


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