© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/06 01/07 22./29. Dezember 2006

Adenauers außenpolitische Manövriermasse
Vor fünfzig Jahren wurde das Saarland Bestandteil der Bundesrepublik, nachdem das "Saarstatut" 1955 abgelehnt worden war
Hans Christians

Als das Saarland am 1. Januar 1957 als Bundesland offiziell der Bundesrepublik Deutschland beitrat, ging ein 37jähriges Kapitel deutscher Geschichte zu Ende. Das erste Saarstatut trat am 10. Januar 1920 als 49. Artikel des Versailler Vertrags in Kraft. Es sprach dem französischen Kriegsgewinner für zunächst 15 Jahre die Rechte an den saarländischen Kohlegruben und den Eisenbahnen westlich der Saar zu. In dieser Zeit verwaltete eine vom Völkerbund eingesetzte Regierungskommission das Saargebiet. Mit Ablauf der von den alliierten Kriegssiegern verfügten Zeitspanne entschieden sich etwa neunzig Prozent der saarländischen Bevölkerung in einer Volksabstimmung 1935 für die Rückkehr ins Deutsche Reich.

Dennoch blieb das Saarland Zankapfel und aufgrund seiner wirtschaftlichen Vorteile (Kohle und Stahl) begehrte Verhandlungsmasse bei Kapitulationsverhandlungen. Ab dem 10. Juli 1945 gehörte das Saargebiet nach Ablösung der US-Truppen zum französischen Besatzungsgebiet. Am 8. Oktober 1946 bildete sich eine Verwaltungskommission, und am 22. Dezember 1946 schloß Frankreich die Grenze des Saarlandes zum übrigen Deutschland und trieb damit die Entwicklung im eigenen Sinne voran - etwa durch die Einführung des französischen Franc als Währung am 20. November 1947 und durch die Verabschiedung einer Verfassung.

Adenauer rief Saarländer zur Zustimmung zum Statut auf Langfristiges Ziel der französischen Seite war auch eine politische Angliederung des Saarlands. Dieses Ziel sollte die neu auflebenden Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich behindern. 1952 schlug der französische Außenpolitiker Robert Schumann die Europäisierung des Saarlandes vor. Bundeskanzler Konrad Adenauer willigte ein, damit die West-Integration in WEU und Nato ungehindert vonstatten gehen konnte. Das Saarland sollte unter dem Dach der europäischen Institutionen Autonomiestatus erhalten. Die bis dahin einseitig auf Frankreich ausgerichteten wirtschaftlichen Beziehungen sollten, so sah es das Statut vor, eine deutsche Ergänzung erfahren.

Gemeinsam mit Schuman betrieb die saarländische Koalitionsregierung aus christlicher Volkspartei und der Sozialdemokratischen Partei des Saarlandes den Ausbau der Eigenstaatlichkeit mit den dazugehörigen Insignien: Flagge und Hymne. Das aus den 1920er Jahren stammende Saarland-Lied erlebte seine Renaissance. Sichtbares Zeichen der Eigenstaatlichkeit war die Teilnahme der Saar an den Olympischen Spielen in Helsinki 1952 und an der Qualifikation zur Fußballweltmeisterschaft zwei Jahre später in Bern.

Als am 24. Oktober 1954 das sogenannte zweite Saarstatut in Kraft trat, welches durch eine Volksabstimmung im Herbst 1955 legitimiert werden sollte, brachen im Saarland bürgerkriegsähnliche Zustände aus. Der von den französischen Besatzern eingesetzte christdemokratische Ministerpräsident Johannes Hoffmann - ein aus der Emigration zurückgekehrter NS-Widerständler - sah sich heftigen Angriffen ausgesetzt. "Wir wollten, daß die Saar zur Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich beiträgt, daß die Saar der Anfang der europäischen Verständigung wird", erklärte Hoffmann in seiner Biographie "Das Ziel war Europa".

Jene Parteien, die sich nicht auf dem Boden der saarländischen Verfassung bewegten, waren an der Saar zumindest temporär nicht zugelassen. Wer sich weder zur wirtschaftlichen Einheit mit Frankreich bekannte noch die saarländische Eigenstaatlichkeit akzeptierte, durfte sich nicht frei äußern. Dieses Verbot traf die deutsche CDU ebenso wie die SPD und die Liberalen, die unter dem Namen "Demokratische Partei Saar" zum Wortführer der Statut-Gegner avancierten.

Franz Schlehofer, im Oktober diesen Jahres verstorbener Kabinettschef der damaligen Regierung Hoffmann, rechtfertigte noch am 50. Jahrestag der Saarabstimmung die quasi-diktatorischen Zustände an der Saar: "Die Empfindlichkeit der Franzosen nach Sicherheit vor den Deutschen war so ausgeprägt, daß Adenauer auch selbst immer wieder darauf hingewiesen hat, er sei zu vielem bereit, damit die Franzosen das Gefühl der Sicherheit bekommen würden vor den Deutschen, daß man gefürchtet hat, wenn hier jetzt gegen diese Entwicklung öffentlich agiert werden kann, daß die Politiker in Frankreich dann anders reagieren. Insofern war es normal, daß ein eigenständiger Staat jene Parteien verbietet, die seine Abschaffung propagieren." Die von Schlehofer angesprochene Unterstützung Adenauers für die Politik Hoffmanns resultierte auch aus dem Ergebnis der saarländischen Landtagswahl im Jahr 1952.

Die pro-deutschen Parteien riefen zum Wahlboykott auf, und nur 25 Prozent der Bevölkerung befolgten dies. Für Adenauer war dies der Grund, mit den sogenannten "Heimatbund-Parteien" zu brechen und die Politik Hoffmanns wohlwollend zu begleiten. Zwar sprach Adenauer in seinen Erinnerungen davon, ein "doppeltes Spiel" betrieben zu haben, um auf einen politischen Wandel zu setzen, der langfristig dem Bevölkerungswillen entsprechen sollte. Dennoch rief Adenauer die Saarländer dazu auf, für das Statut zu stimmen.

So entwickelte sich im Sommer 1955 ein von Ausschreitungen geprägter Wahlkampf, dessen Auswirkungen noch im Jubiläumsjahr 2005 zu spüren waren, als die Leserbriefseite der Saarbrücker Zeitung quasi zum Kriegsschauplatz von ehemaligen Befürwortern und Gegnern wurde. "Die Risse gingen teilweise durch Familien. Es war eine Atmosphäre, die geprägt war von Haß und Mißtrauen. Jede Veranstaltung mußte von Wasserwerfern geschützt werden. Man traute sich nicht mehr auf die Straße", erinnerte sich Schlehofer fünfzig Jahre später.

Wortführer der Heimatbundparteien war DPS-Chef Heinrich Schneider, ein rhetorisch geschickter und politisch klug agierender Rechtsanwalt, dessen Zuhörer mit Marschmusik, der Saar-Hymne und der ersten Strophe des Deutschlandliedes eingestimmt wurden auf die Parole: "Saarbevölkerung erneuert ihren Schwur von 1935." Auf Plakaten wurde Adenauer als Verräter und Mörder dargestellt: "Kain, wo ist Dein Bruder Abel? - Adenauer, wo ist die Saar?" Die Regierungsparteien wiesen dagegen auf die NS-Vergangenheit Schneiders hin, der als Gefolgsmann Gregor Strassers galt und im Jahr 1935 als Gau-Redner in Erscheinung getreten war.

Hoffmann verschwand von der politischen Bildfläche

Eine auffällige Rolle spielte im Saarkampf auch die burschenschaftliche Bewegung. Die Saarbrücker Burschenschaft Germania, 1951 gegründet und noch heute die Losung "Deutsch ist die Saar" in ihrem Wappen führend, wurde zur Anlaufstelle des universitären Widerstands. Führende "Germanen" wie der spätere Wirtschaftsminister Walter Henn oder der Sparkassen-Chef Lothar Köth stiegen nach der Ablehnung des Statuts in bedeutende Positionen auf. Am 23. Oktober 1955 stimmten schließlich 67 Prozent der Saarländer mit "Nein". Das Saar-Statut war gescheitert.

Bereits am Folgetag erschien Kanzler Adenauer in Saarbrücken, um in Geheimverhandlungen zu treten. Die französischen Besatzer verloren das Interesse an der Saar. Ohne große weitere Aufregung wurde die Angliederung des Saarlandes als Bundesland der Bundesrepublik zum 1. Januar 1957 beschlossen. Johannes Hoffmann verschwand von der politischen Bildfläche. Heinrich Schneider hingegen stieg bis zum stellvertretenden Parteivorsitzenden der FDP auf, die er 1969 aus Protest gegen die sozial-liberale Koalition wieder verließ. Hinterlassen hat der Saarbrücker Rechtsanwalt eine Biographie, die er kurz vor seinem Tod 1974 fertigstellte. Der Titel seiner Erinnerungen wurde zur geflügelten Bezeichnung für die Vorkommnisse im Sommer 1955: "Das Wunder an der Saar".


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