© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/07 5. Januar 2007

Mehr Wettbewerb soll es richten
Gesundheitspolitik: Die Privaten Krankenversicherungen stehen vor einer schwierigen Bewährungsprobe
Jens Jessen

In den letzten dreißig Jahren erhöhten die Kassen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) die Beiträge um 240 Prozent. Die Privaten Krankenversicherungen (PKV) brachten es im Schnitt auf 450 Prozent. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat für die vergangenen zwanzig Jahre sogar eine Verdreifachung der Beiträge errechnet.

Eine Ursache dafür ist die Apathie der Privatkassen, die es den Leistungserbringern erlaubt, den Versicherten überhöhte Rechnungen aufs Auge zu drücken, ohne dagegen vorzugehen. Das Argument, nur durch die finanzielle Überforderung der PKV könne die medizinische Versorgung der GKV-Mitglieder gewährleistet werden, ist ein Armutszeugnis für die Vertreter der deutschen Ärzte. Das GKV-System befindet sich in den Fängen von Politik, Gewerkschaften und - teilweise - Arbeitgebern. Ständige "Reformen" haben Kostensteigerungen zumindest kurzfristig gedämpft. Da die GKV keine gewinn-orientierte Versicherung ist, erhebt sie Beiträge, die praktisch Steuern auf das Einkommen sind. Wer mehr verdient, zahlt für dieselbe Leistung mehr, wer weniger verdient, weniger.

Die GKV ist der Solidarität verpflichtet. Sie muß jeden aufnehmen, der dies wünscht und die Beiträge zahlen kann. Der junge Gesunde zahlt für den alten Kranken, der Reiche für den Armen, der Werktätige für den Arbeitslosen, der Kinderlose für die Kinder des Kollegen, der Ledige für die Hausfrau des Verheirateten. Die PKV funktioniert dagegen wie jede Versicherung: Der Risikobehaftete zahlt mehr als der weniger risikobeladene. Gesundheitlich Vorbelastete muß die PKV nicht aufnehmen.

Die GKV prüft die abgerechneten Leistungen darauf, ob sie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich erbracht wurden. Die PKV tut das nicht. Sie scheut sich, die Möglichkeit wahrzunehmen, entsprechende Verträge mit den Leistungserbringern abzuschließen. So begleicht das Mitglied von Allianz, Barmenia, Continentale & Co. ohne Murren die an ihn geschickte Liquidation durch Überweisung an den Leistungserbringer, da zwischen dem Versicherten und dem Leistungserbringer ein Behandlungsvertrag abgeschlossen worden ist. Reicht das PKV-Mitglied die Abrechnung ein, erstattet seine Kasse die Kosten. Sollte die Kasse nicht den vollständigen Betrag ersetzen, hat der Versicherte das Nachsehen.

Bisher haben die privat Versicherten ihren rechtlosen Zustand hingenommen. Die Bundeskanzlerin und die Bundesgesundheitsministerin wollen dafür sorgen, daß sich die PKV so ändert, daß jeder Versicherte für die einzelne Versicherung von Wert ist. Dazu soll ein Basistarif eingeführt werden. Der Entwurf für das neue Versicherungsvertragsgesetz sieht in Artikel 35 vor, daß die Vergütung der Ärzte und Zahnärzte für die Behandlung von im Basistarif Versicherten durch Verträge zwischen Kassenärztlichen bzw. Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und der PKV erfolgen soll.

Privatkassen sollen künftig einen "Basistarif" anbieten

Das Gesetz soll 2008 in Kraft treten. Dann sind die Privatkassen gezwungen, den Leistungserbringern auf die Finger zu sehen. Bisher hat das PKV-System erhebliche Anreize, ältere Mitglieder zu "verlieren". Die Versicherung behält bei Kündigung die Alterungsrückstellungen - und ist ein Kosten- und Morbiditätsrisiko los. Um die PKV daran zu hindern, mit sehr hohen Beiträgen alte Versicherte zur Kündigung zu drängen, soll die PKV den Basistarif mit dem Leistungsumfang der GKV anbieten. Der Basistarif macht es möglich, daß PKV-Versicherte zwischen den PKV-Unternehmen wechseln können. Die neue Versicherung ist gezwungen, den Versicherungswilligen ohne Risikozuschläge aufzunehmen. Dafür nimmt der neu Versicherte seine Alterungsrückstellung von seinem Vorversicherer mit.

Das ist bis heute nicht möglich und hat dazu geführt, daß ein Wettbewerb um die Versicherten zwischen den Versicherungsanbietern nicht in Gang gekommen ist. Der Wettbewerb hat sich in erster Linie auf Neukunden gestützt. Das wird so nicht bleiben, da der Zugang zur Privaten Krankenversicherung erheblich erschwert und die Struktur der PKV der GKV angeglichen wird. Werden die Vorstellungen des im Bundeskabinett verabschiedeten Entwurfs des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung umgesetzt, wird auch der Wechsel von einer privaten Vollversicherung in den Basistarif möglich sein. Die 33 privaten Assekuranzen werden aus ihrem Dornröschen-Schlaf aufwachen müssen und Kreativität entfalten oder untergehen.

Es gibt aber schon ein dreißig Jahre altes Beispiel, wie eigene Einrichtungen der PKV dazu beitragen können, Geld zu sparen. 17 Privatkassen gründeten 1976 die Krankenhauskette Sana, die qualitativ hervorragende medizinische Leistungen kostengünstig erbringt. Unverfroren ist es allerdings, daß die Kassen die Gewinne nicht an die Versicherten in Form niedrigerer Prämien weitergegeben haben. Auch das wird sich ändern. Die vielen Möglichkeiten, mit denen die Effizienz der Krankenhausbehandlung und der vertragsärztlichen Behandlung erhöht und die Kostensenkung bei Arzneimittelverordnungen erreicht werden kann, sind ja keine Unbekannten.

Gesundheitsmanagement, Disease-Management, Primärarztsystem sind nur einige wenige Beispiele, die nicht nur im Ausland funktionieren. Vielleicht könnten die bisher nicht ausgelasteten Manager sich auch Gedanken über Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und die Integrierte Versorgung machen.

Foto: Demo gegen Gesundheitsreform: Risikoauslese statt Solidarität


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