© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/07 5. Januar 2007

Strom und Wärme vom Acker
Landwirtschaft: In Deutschland nimmt der Anbau von Energiepflanzen zur Gewinnung regenerativer Energien rasant zu
Harald Ströhlein

In der Landwirtschaft von morgen wird neben der Produktion hochwertiger Lebensmittel auch der Anbau von Energiepflanzen eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Dennoch ist es schon etwas sonderbar, wenn sich neuerdings Anlageexperten und Finanzspekulanten für den gewöhnlichen Mais begeistern und dieser gleichberechtigt neben den weltweit wichtigsten Rohstoffgütern wie etwa Öl, Zink oder Nickel gehandelt wird.

Nicht, daß das ursprünglich aus Mexiko stammende Süßgras sein Ansehen als Futterlieferant in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung verloren hätte. Das kommerzielle Interesse aber ist damit begründet, daß sich Mais - wie Weizen oder Raps - zu einer regenerativen Energiequelle erster Güte gemausert hat. So wird in mehr als zwei Drittel der mittlerweile in Deutschland betriebenen etwa 3.000 Biogasanlagen Mais vergoren - gegenüber 2005 verdoppelte sich die Anbaufläche von 70.000 auf über 144.000 Hektar.

Energiepflanzenanbau auf 13 Prozent der Ackerfläche

Überhaupt wächst der Bereich der Alternativenergien - nicht zuletzt dank staatlicher Förderprogramme - mit ungebremster Kraft, und ein Ende ist nicht abzusehen. 2006 wurden hierzulande Energie- und Industriepflanzen auf mehr als 1,56 Millionen Hektar - das sind 13 Prozent der gesamten deutschen Ackerfläche - angebaut. Alleine Raps beanspruchte davon für die Erzeugung von Biodiesel etwa 1,1 Millionen Hek-tar. Experten schätzen, daß bis 2030 die Anbaufläche für Pflanzen zur Energiegewinnung auf etwa vier Millionen Hek-tar wachsen wird. Weiterhin wurden für die Gewinnung von Strom und Wärme aus Biomasse im Jahr 2005 rund 3,2 Milliarden Euro investiert; in diesem Jahr sollen die Investitionen um mindestens 30 Prozent steigen. Auch hält man es für möglich, daß sich der Anteil von Biogas an der gesamten Stromerzeugung von derzeit einem Prozent bis zum Jahre 2020 auf 17 Prozent erhöhen könnte. Langfristig gesehen könnten mit Hilfe von Biogas fünf Prozent des Wärmebedarfs gedeckt und 20 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs ersetzt werden. Schon heute leben etwa 60.000 Menschen von der Materie "nachwachsender Rohstoff".

Auch international zeigt sich ein solcher Trend. Im EU-weiten Vergleich steht Frankreich in der Äthanolerzeugung (C2H5OH) an erster Stelle, und in Spanien nimmt der Bioäthanolanteil an der gesamten Äthanolherstellung bereits über 65 Prozent ein. Mit jeweils einem Drittel an der Gesamtproduktion sind die USA und Brasilien in der Bioäthanolproduktion weltweit führend und haben sich für die unmittelbare Zukunft ehrgeizige Ziele mit zwei- bis dreistellig prozentualen Zuwachsraten gesteckt. So befinden sich beispielsweise in den USA bereits 101 Äthanolanlagen in Betrieb; weitere 42 Produktionsstätten werden derzeit errichtet. Bis 2010 will man den jährlich Äthanolausstoß von derzeit rund 18 Millionen Kubikmetern mehr als verdoppeln.

Angesichts dieser Euphorie haben Kritiker schlechte Karten. So monieren Ökologen, daß noch viel Forschungsbedarf bestehe, um die eigentlichen Anbauverfahren von Energiepflanzen in puncto Nachhaltigkeit oder die Energieausbeute in den Anlagen zu optimieren. Ökonomen verweisen auf die begrenzten Flächen und auf das sich nach oben bewegende Preisniveau für den Boden einerseits und die daraus erwachsene Konkurrenzsituation zwischen dem Anbau von Pflanzen für die Energiegewinnung und für die Nahrungsmittelveredelung andererseits.

Stillgelegte Flächen könnten sich demnach als ein Luxus erweisen, und die Politik stellt bereits heute deren Subventionierung auf den Prüfstand. Wie Analysten vorrechnen, wäre beispielsweise der wachsende Bedarf an Biokraftstoffen durch den Anbau brachliegender Flächen und die Verwendung von überschüssig angebautem und wegen Intervention und Export hochsubventioniertem Getreide mehr oder minder zu kompensieren.

Sollte beispielsweise die EU-Zielvorgabe für die Zumischung biogener Kraftstoffe in Höhe von 5,75 Prozent greifen, bedeutete dies jährlich einen Bioäthanolbedarf von mindestens acht bis zehn Millionen Kubikmetern. Würde diese Menge nur über Getreide produziert werden, benötigte man 25 Millionen Tonnen und damit etwa soviel, wie pro Jahr in Drittländer exportiert wird.

Doch aus dieser nichtkonventionellen Flächennutzung, die im Extremfall zu einem Verheizen von Getreide führt, erwächst eine ethische Problematik von höchster Brisanz. Die Frage zur Ernährung der Weltbevölkerung - mittlerweile hungern laut Uno weltweit über 850 Millionen Menschen - stellt sich zwangsläufig, und eine explizite Antwort durch die entsprechende Institution steht aus.

Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft

Auf die Landwirtschaft fokussiert, ergeben sich ungeahnte Perspektiven. Aufgrund der steigenden Nachfrage nach Agrarprodukten ist mit einem höheren Preisniveau auf den Weltmärkten zu rechnen, und dem seit langem währenden Dilemma übersättigter Märkte und desolaten Erzeugerpreisen könnte ein Ende gesetzt werden. Neben der Produktion von qualitativ hochwertigen Lebensmitteln liegt es in der Hand der Bauern, künftig eine nicht unerhebliche Rolle in der Energieversorgung unserer Gesellschaft zu übernehmen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen