© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/07 12. Januar 2007

Ende einer Amtszeit
Polen: Der zurückgetretene Warschauer Erzbischof Stanisław Wielgus gilt vielen als Liberaler / Spekulationen über gezielte Hinweise auf Spitzeltätigkeit
Christian Rudolf

Der designierte Erzbischof von Warschau, Stanisław Wielgus, hat am vergangenen Sonntag auf sein Amt verzichtet - nur Stunden vor der liturgischen Amtseinführung. Am Freitag hatte er das Hirtenamt der polnischen Hauptstadt übernommen und die Nachfolge von Kardinal Józef Głemb angetreten. Doch die Last der Anschuldigungen, jahrelang als Informant für den Sicherheitsdienst (SB) der kommunistischen Volksrepublik Polen gespitzelt zu haben, war am Ende doch zu groß.

Wielgus, 1939 im südpolnischen Wierzchowiska geboren, empfing mit 23 Jahren die priesterlichen Weihen. Neben seiner Arbeit als Seelsorger begann er 1967 ein Studium der Philosophiegeschichte an der berühmten Katholischen Universität Lublin (KUL), der einzigen nichtstaatlichen Hochschule des Ostblocks. Er promovierte, wurde Philosophieprofessor und zählte rasch zur intellektuellen Elite des polnischen Klerus. Es war diese Zugehörigkeit, die Wielgus für die "Organe" interessant machte, und es muß sein Streben, wissenschaftlich vorankommen zu wollen, gewesen sein, das ihn anfällig machte. Ende der sechziger Jahre unterschrieb er eine erste Verpflichtungserklärung. Er soll während der innenpolitischen Unruhen 1968 und 1970 über die Stimmung im Lehrkörper berichtet und Charakteristika von Kollegen und Amtsbrüdern angefertigt haben. Etwa 50 Mal, so steht es in den SB-Akten, traf er sich mit Offizieren. Um einen Reisepaß für ein Studium in München zu erhalten, verpflichtete er sich erneut schriftlich zur Zusammenarbeit mit den Diensten, deren Aufgabe neben anderem die Zersetzung der Kirche war.

Kurz vor Weihnachten hatte die nationalgesinnte Gazeta Polska über die geheimdienstliche Vergangenheit des späteren Rektors der KUL geschrieben. Die Angelegenheit fiel in eine Zeit ohnehin heftiger Debatten über die Stasi-Infiltration der Kirche, der im vergangenen Jahr mehrere aufgedeckte SB-Verstrickungen ihrer Würdenträger zusetzten.

Die vom Episkopat berufene Kirchliche Historikerkommission sowie Experten vom Institut für Nationales Gedenken, dem polnischen Gegenstück zur Stasi-Unterlagen-Behörde, konnten die Zusammenarbeit des Bischofs mit dem Sicherheitsdienst nur bestätigen, auch wenn keine von ihm verfaßten Berichte aufgetaucht sind. Wielgus, der zuletzt Bischof der Weichselstadt Płock war, hatte die Gläubigen um Verzeihung gebeten und beteuert, er habe niemandem geschadet. Polnische Kommentatoren, etwa im seriösen Magazin Polityka, bedauerten, daß der designierte Erzbischof nicht schon in dem Moment, als erste Beschuldigungen auftauchten, "angemessene und vollständige Erklärungen" abgegeben hat. So wurde ihm zum Verhängnis, daß er seine Geheimdienstkontakte nur scheibchenweise zugab.

Indessen wird spekuliert, ob die Hinweise auf die Spitzeltätigkeit des Erzbischofs gezielt gestreut wurden. Im Polen der Gebrüder Kaczyński gilt Wielgus vielen als verdächtiger Liberaler, der für die deutschfeindlichen Töne aus Regierungs- und Kirchenkreisen nichts übrig hatte.


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