© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/07 12. Januar 2007

Kalkül und Halbwissen
Antisemitismusstreit: Jede Kultur führt die Diskurse, zu denen sie imstande ist
Wolfgang Fenske

Gott kam aus Ägypten" - so titelte der Spiegel in seiner Weihnachtsausgabe zwei Tage vor Heiligabend. Die These: Nicht erst seit der Offenbarung Gottes an Mose im brennenden Dornbusch am Berg Sinai (2. Mose 3) gebe es so etwas wie Monotheismus. Vielmehr führe eine "spannende Spur" von Mose zurück zum ägyptischen Pharao Amenophis IV. Der hatte um 1350 v. Chr. die kultische Verehrung des Sonnengottes Aton für ganz Ägypten angeordnet, sich selbst zu dessen einzigen Mittler ausgerufen und in Echnaton umbenannt. Mose, selbst Ägypter, habe rund 150 Jahre später nichts anderes getan, als das "Testament des Pharao" zu vollstrecken, indem er die Israeliten - Gott in Gestalt der Rauch- und Feuersäule unter allerlei Murren folgend - ins Gelobte Land führte, alle autochthone Vielgötterei blutig niedermetzelnd. Des Spiegels Moral von der Geschicht': Die Verbreitung des Monotheismus und die damit einhergehende Unterscheidung wahren und falschen Glaubens war es, die die Gewalt in die Auseinandersetzung der Religionen hineingetragen habe.

Nun ist die These von den altägyptischen Wurzeln des biblischen Monotheismus keineswegs so neu oder häretisch, daß nachvollziehbar wäre, warum sie die Titelseite des Spiegel zieren mußte. Auch erweist sich sein Autor als wenig methodensicher, verheddert er sich doch auf Schritt und Tritt zwischen erzählter und rezipierter Geschichte, biblischer und realer Chronologie, und scheut sich auch nicht, seinen Lesern die "wahre Geschichte" eines Themas zu präsentieren, an dem sich die Forscher seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen.

Micha Brumlik, Publizist und Holocaust-Forscher an der Frankfurter Uni, hat mit alldem kein Problem. Er rechnet eins und eins zusammen und konstatiert, daß mit dem Gewaltvorwurf gegen den Monotheismus nur das Judentum gemeint sein könne, und beklagt in der Jüdischen Allgemeinen letzter Woche lautstark die "bislang antisemitischste Titelgeschichte", die der Spiegel jemals gebracht habe.

Kalkül baut auf Halbwissen. Der Auftakt des neuen Jahres ist den altbekannten Diskursrittern der Republik bestens geglückt. Das läßt sich (fast) ohne Verbitterung sagen, denn jede Kultur führt die Diskurse, zu denen sie noch imstande ist.


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