© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/07 12. Januar 2007

In den fernen Spiegel blicken
Traditionswanderung am Rhein: Ausstellung "Angkor - das göttliche Erbe Kambodschas"
Wolfgang Saur

Beim Eintritt in die sagenhafte Welt Alt-Kambodschas, zu sehen jetzt in Bonn, steht der Besucher mitten im tropischen Regenwald. Suggestiv umschließt ihn dessen visuelle und akustische Gegenwart - bis ihn ein magisch erleuchteter Kultplatz nach vorne zieht. Aus einem sonnendurchflirrten Wasserbecken ragen drei mächtige Lingas: archaische Embleme Shivas. Sie evozieren den Gott in absoluter Form. Stellen anthropomorphe Bilder seine einzelnen Aspekte dar, repräsentiert der abgerundete Säulenschaft des Lingam seine Essenz. Aus dem fruchtbarkeitskultischen Phallos ist so ein abstraktes Zeichen für die schöpferische und ordnende Macht im Kosmos geworden.

Neben Shiva huldigten die mittelalterlichen Khmer-Könige Vischnu. Diesem weihten sie im 12. Jahrhundert Angkor Wat, den größten Sakralbau der Welt. Heute ist er der besterhaltene Tempelkomplex Kambodschas. Ihm begegnet der Besucher auf riesigen, meisterhaften Fototafeln und dann im eigenen Saal mit begehbarer Installation. Ein gewaltiges Holzmodell läßt sich von allen Seiten betrachten und intensiv studieren.

Angkor Wat, so die Aussteller, bietet "eine gebaute Quintessenz der Religiosität, des Weltbildes, der Geschichte der Khmer-Kultur". Verkörpert es doch ein kultisches Weltmodell in Form eines dreidimensionalen Mandala. Dessen konzentrischem Ideogramm als Meditationsbild analog, monumentalisiert das architektonische Programm von Angkor Wat einen von außen nach innen gestaffelten Sakralbezirk mit Gräben, Prozessionsstraßen, Toren, Galerien, Terrassen, Höfen, Wasserteichen, Treppen und Tempeltürmen. All dies in verschwenderischer Fülle.

Denn: als magisch-religiöses Reichszentrum beschwört die Anlage nicht weniger als eine mythische Kosmographie - von den umgebenden "Urwassern" bis zur Spitze des "Tempelbergs". Dieser "Zentraltempel stellt eine architektonische Gleichung dar, von der ausgehend das Land durchgestaltet wird: das ganze Reich der Khmer erhält den Grundriß eines gigantischen Mandala" (Stierlin). Wie auch der Gott Vischnu "als kleinster Kern die gesamte Materie durchdringt und als größtes Element das gesamte Universum in sich aufnimmt". Die Gottheit begründet die Welt von innen und fügt sie von außen zur universalen Ordnung, wirkt so wie eine "Matrize".

Dies: zwei Topoi des alten Indochina, seiner Religionen und kulturellen Ideen, in die auch der Besucher eintaucht, während er tausend Jahre Khmerkunst am Rhein durchwandert. Hier wird die fernöstliche Kultur erstmals in Deutschland präsent. Fast alle Leihgaben stammen aus Phnom-Penh selbst.

Nach älteren Perioden erlebte das Reich zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert seine Blüte und größte Ausdehnung. Seine Könige regierten vom Großraum Angkor aus, einer 200 Quadratkilometer umfassenden Region. Dort erbauten sie ihre Städte und Sakralbezirke.

Lehrgänge in asiatischer Ikonographie

Sieht man von der ästhetischen Faszination einmal ab, ist der symbol- und religionskundliche Reichtum der Bonner Schau enorm. Ihn transportiert eine Vielzahl herrlicher Plastiken - Götterbilder des hinduistischen Pantheons, Bodhisattvas und Buddha selbst, daneben heilige Tiere und Heroen der Legendenkreise. Dazu kommt Ritualgerät wie Donnerkeil, Dreizack oder Glocke, Palmblattcodices und Zermonialmobiliar, dann Zeugnisse privater Andacht wie zierliche Hausaltäre und fromme Ikonen. Neben stilistischen Aspekten erhält man so einen idealen Lehrgang in asiatischer Ikonographie. Schließlich wollen die Attribute der Götter ebenso identifiziert sein wie die Strukturelemente des Vajra etwa, des priesterlichen Ritualszepters. Einst ein gefangener Blitz und Donnerkeil des Regengottes Indra, wandelte der Vajra buddhistisch sich zum Diamant und Feuer der Erleuchtung. Das Szepter vereinigt so zahlreiche Bedeutungsschichten und regiert mit seinem Komplement, der Sakralglocke Ghanta, die heilige Handlung.

Die subtilen Instrumente leuchten aus sorgfältig plazierten Vitrinen - die einen locker verteilt, andere formieren sich zur Prozessionsstraße. Die führt auf einen gewaltige Buddha, umstanden vom Götterreigen. Alternierende Formen verhindern Monotonie und entfalten die innere Kraft der Objekte. Schwarz hinterfangen, effektvoll angestrahlt, präsentieren die Wandflächen große Bildfriese der Tempelfronten und Monumentalreliefs der Galerien von Angkor Wat.

Einmal setzt die Gestaltung auf Rechteck und Kubus, dann wieder auf Rundform und Kreissegment. Postamente, Nischen, plastische Raumteiler formen den vielgliedrigen Parcours; Transparente aus farbiger Gaze auratisieren die Kunst, verfremden sie surreal, entrücken sie traumhaft. Das setzt Imagination und Realität in Spannung und schenkt dem Ort sein Geheimnis.

Überraschend auch das Filmprogramm. Darunter eine spektakuläre Computeranimation der TU Darmstadt zum Bau von Angkor Wat und des Bayon, der Technik und Baugeschehen simuliert und dessen virtuelle Reise ins archaische Kambodscha die Besucher in Strömen anzieht.

Allgegenwärtig ist der Einfluß Indiens. Der brachte Ackerbautechnik, Religion, dann Kunst und Architektur ins Land. Ihr kosmologischer Symbolismus wurzelt in der Idee des Vastu-Purusha-Mandala, des indischen Symbolquadrats. In seine Form hatten die Götter das mythische Urwesen gepreßt, das Raster, die Padas unter sich aufgeteilt und so das Chaos in Ordnung überführt. Das Schema kennt 32 Varianten. Sie dienten der Meditation und bestimmten Tempel- wie Städtebau. Die Symbolik des Zentrums regiert jene ebenso wie die soziale Welt. Ausfaltung der Schöpfung und Einfaltung des Herzens beschreiben komplementär den Lebensgang. Das magische Quadrat spiegelt eine himmlische Geometrie, die Idealität des Absoluten in vollkommener Gestalt. Diese Struktur durchdrang Angkor ganz und gar. Im Zentrum erhob sich der Berg Meru, Ort der Götter. Das pyramidale Prinzip gestufter "Tempelberge" zielt auf den mythischen Horizont und rituellen Zweck. Das Mandala wächst in die Höhe und wird zur Weltachse, der kosmischen Vertikalen, die Unterwelt, Erde und Himmel verbindet.

Diese komplexe Formensprache aus Ahnentempel, Wasserbecken, Tempelberg und Galerien nach den Prinzipien: Symmetrie-Achse-Zentralbau-Wiederholung drückt die kosmischen Analogien gültig aus. Die Kultstätten, so Henri Stierlin, lassen eine "rhythmische Gliederung erkennen, hervorgerufen durch Pausen, Verminderung und Steigerung der Raumdynamik". Hier liegt das kulturelle Verdienst Kambodschas. Es verband Indien mit dem fernen Osten, bevor der Buddhismus Stupa und Pagode verbindlich machte.

Das göttliche Erbe Angkors zeigt uns die Gegenwelt einer Traditionskultur und sozialen "Metaphysik", die Vision einer Welt, in der alles Ereignis Sinn wurde. In diesen "fernen Spiegel" wird man mit größtem Gewinn blicken. Wohl erlebt man Fremdheit und auch die Würde des "ganz Anderen". Bis feierlich am Ende dann eine Ahnung aufscheint: von großer Einheit und dem Glanz ewiger Archetypen.

Die Ausstellung ist bis zum 9. April in der Bonner Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4, täglich außer montags von 10 bis 19 Uhr, Di./Mi. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 02 28 / 91 65 -302, Internet: www.bundeskunsthalle.de Der Katalog kostet 28 Euro.


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