© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Scharfe Konkurrenz
Energiesicherheit: An einer Kooperation mit Rußland geht kein Weg vorbei
Alexander Griesbach

Nun fließt also wieder russisches Öl durch die Ölleitung "Druschba" durch Weißrußland, deren vorübergehende Schließung seitens des russischen Pipeline-Monopolisten Transneft die Versorgung mehrerer Länder, darunter auch Deutschland, zu beeinträchtigen drohte. Der russische Energieriese Gasprom hatte zum Jahreswechsel den Gaspreis für Weißrußland von 46 auf 100 Dollar pro 1.000 Kubikmeter erhöht. Darüber hinaus führte Rußland eine Gebühr von 180 Dollar für jede Tonne Öl ein, die nach Weißrußland exportiert wird. Begründet wurde dieser Schritt damit, es solle verhindert werden, daß Weißrußland das billig importierte russische Öl zum Weltmarktpreis weiterverkauft. Daraufhin erhob Weißrußland für das Rohöl, das von Rußland nach Europa fließt, eine Transitgebühr von 45 Dollar je Tonne. Transneft weigerte sich, diese Gebühr zu bezahlen, was Weißrußland nach russischen Angaben mit der eigenmächtigen Abzapfung von Erdöl aus der "Druschba"-Pipeline beantwortet haben soll. Daraufhin stoppte Transneft den Öltransport. Die "Druschba"-Pipeline ist die wichtigste Verbindung zwischen Sibiriens Ölfeldern und Europas Raffinerien. Deutschland bezieht über diese Pipeline zirka ein Fünftel seines täglichen Ölbedarfs.

Bestätigt sehen sich durch die aktuellen Streitigkeiten zwischen Weißrußland und Rußland in Deutschland all jene, die seit geraumer Zeit das Gespenst der Abhängigkeit Deutschlands von den russischen Energielieferungen beschwören. Deutschland dürfe sich nicht von einem Energielieferanten abhängig machen, ließ unlängst Bundeskanzlerin Angela Merkel durchblicken, und der ehemalige FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, als ausgewiesener "Atlantiker" bekannt, nutzte die Gelegenheit, gegen die geplante Ostsee-Pipeline zu polemisieren, die die Abhängigkeit Deutschlands seiner Ansicht nach nur noch vergrößern werde und "ein politischer und energiepolitischer Fehler" sei.

Richtig ist, daß Rußland als Energie-Großmacht bzw. als "Ressourcenstaat" international wieder mehr Einfluß zu nehmen versucht. Unter "Ressourcenstaaten" versteht man Staaten, bei denen die Ressourcensektoren mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und mehr als 40 Prozent der Exporte ausmachen. Dieses Pfund versetzt Rußland in die Lage, in der Außenpolitik deutlich selbstbewußter als in den 1990er Jahren aufzutreten. Das Wiedererstarken russischer Interessenpolitik berührt aber eine Grundmaxime der US-Geopolitik, nämlich die Hegemonie über den "Brückenkopf Europa", von dem aus "eine internationale Ordnung der Demokratie und Zusammenarbeit nach Eurasien hinein" ausgebreitet werden soll. So drückte es einmal die "graue Eminenz" der US-Außenpolitik, Zbigniew Brzezinski, aus. Eine steigende energiepolitische Abhängigkeit Europas, mit der auch ein entsprechender politischer Einfluß seitens Rußlands verbunden ist, kann vor diesem Hintergrund nicht im US-Interesse sein. Entsprechend werden US-Lobbyisten in Europa nicht müde, das Gespenst von der Energieabhängigkeit Europas von Rußland an die Wand zu malen. Tatsächlich hat Rußland bisher zu keinem Zeitpunkt ernsthaft damit gedroht, die Gas- oder Ölversorgung Europas zu stoppen. Rußland braucht das Geld der EU-Staaten, die überdies deutlich höhere Preise als die Ukraine oder Weißrußland bezahlen.

Nicht wenige Beobachter auf westlicher Seite sind der Überzeugung, daß Rußland sein Potential als Energiegroßmacht nutzen könnte, um in den GUS-Staaten wieder nachhaltig Einfluß zu nehmen, sich möglicherweise von westlichen Werten abwenden und mit China ein strategisches Bündnis gegen den Westen eingehen könnte. Dieses Szenario einer "multipolaren Welt" mit einer Kooperation zwischen Rußland, China und Indien ("Triadenbildung") liefe auf eine ernsthafte Infragestellung der hegemonialen Ansprüche der USA hinaus. Die Vereinigten Staaten haben eine derartige Triadenbildung zuletzt dadurch zu durchkreuzen versucht, daß sie Anfang März Indien den Status einer Atommacht verliehen haben, obwohl Neu Delhi sich weigert, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen. Auf die Internationale Atomenergiebehörde wurde nachhaltig Druck ausgeübt, die Regularien so zu verändern, daß der Export von nuklearem Brennstoff und ziviler Nukleartechnologie möglich wird. Eindeutigen Versuchen seitens der Vereinigten Staaten, Indien in ein breiteres strategisches Bündnis einzubeziehen, hat sich Neu-Delhi jedoch trotz dieser Zugeständnisse bisher erfolgreich entziehen können. Putin konnte bisher verhindern, daß weder die Intensivierung der Beziehungen zwischen Indien und den USA noch die Kontakte zwischen Moskau und Islamabad das gute Verhältnis zu Moskaus Neu-Delhi beeinträchtigt haben.

Der Ruf nach "Diversifizierung", sprich: nach Vermehrung der Energiequellen, der jetzt in Deutschland und Europa laut wird, ist vor diesem Hintergrund ein zweischneidiges Schwert. Sollte dieser Weg tatsächlich eingeschlagen werden, tritt Europa in eine scharfe Konkurrenz mit anderen Großmächten ein, die ebenfalls - und mit wenig Skrupeln - um die Sicherung der knapper werdenden Energievorkommen in einem "neuen Kalten Krieg" (Spiegel) buhlen. Auf diesem Weg wird sich die vielbeschworene "Energiesicherheit" wohl kaum herstellen lassen. An einer Kooperation mit Rußland geht deshalb kein Weg vorbei.


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