© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Der Patriarch tritt ab
Krise: Der CSU-Führungsstreit um Edmund Stoiber gefährdet die Existenz der Union und der politischen Mitte in Deutschland
Paul Rosen

Götterdämmerung in Wildbad Kreuth. Nach einer Serie von Fehlern scheint sich die politische Laufbahn des seit dreizehn Jahren Bayern regierenden Edmund Stoiber dem Ende zuzuneigen. Er selbst soll auf einer Klausurtagung der Landtagsfraktion die Möglichkeit angedeutet haben, auf sein Amt verzichten zu können. Umfragen lassen die CSU unter 50 Prozent sinken, Stoiber ist nur noch bei einer Minderheit der Bürger des Freistaates beliebt. Die CSU, einst erfolgreichste Volkspartei Europas, versinkt in der Krise. Wenn sie da nicht mehr herauskommt, wird es eng für die Volkspartei Union insgesamt.

Wie konnte es dazu kommen, daß der erfolgreichste Ministerpräsident Deutschland, der 2002 beinahe Bundeskanzler geworden wäre, derart abstürzt und jetzt sogar von einem Putsch gegen ihn die Rede ist? Die Ursachen sind nicht in seiner Amtsführung zu suchen. Bayern steht wirtschaftlich blendend da. Höchstes Wirtschaftswachstum, niedrigste Arbeitslosenziffern und null Euro Neuverschuldung sind Kennziffern, daß im Freistaat die Welt noch in Ordnung ist. Der Begriff "Laptop und Lederhose" zeigt die Symbiose aus Tradition und Fortschritt. Die CSU regiert mit einer Zweidrittelmehrheit im Landtag. Trotzdem offenbaren sich jetzt hinter der schönen Fassade häßliche Züge. Und auf den bayerischen Dächern sitzen politische Heckenschützen, die ein Blutbad ohnegleichen anrichten.

Der Stoibersche Niedergang hat seine Ursache im Jahre 2005. Nach der Bundestagswahl wollte der CSU-Chef nach Berlin und dort im Kabinett von Angela Merkel Wirtschaftsminister werden. Doch schon vor der Ernennung mußte er feststellen, daß er mit dem System Merkel nicht kompatibel war. Zwei Wochen lang trieb die Merkel-Freundin Annette Schavan den Bayern mit einem Gezänk um Kabinettszuständigkeiten vor sich her. Stoiber gab, da Merkel zu dem Possenspiel schwieg, entnervt auf. Hinzu kam der Rücktritt Franz Münteferings, mit dem er während der Arbeit in der Föderalismus-Kommission ein gutes persönliches Verhältnis aufgebaut hatte. Stoiber hatte in Berlin keine Freunde mehr, aber als er nach München zurückging, wurde auch in Bayern die Zahl der Freunde kleiner.

Stoiber konnte die wahren Gründe weder in seiner Partei noch bei den Bürgern nennen. In der Folge wurden sich der Regent und seine Bayern zunehmend fremder. Kaum noch jemand verstand diesen so merkwürdig unruhigen Mann und seine Winkelzüge. Im Sommer schien sich die Lage zu entspannen, von der Rückkehr des Patriarchen war die Rede. Doch dann betrat die Fürther Landrätin Gabriele Pauli die Bühne. Die 49jährige wurde zuerst mit ihrem Anti-Stoiber-Forum im Internet und ihrer Forderung nach Direktwahl des Spitzenkandidaten belächelt. Kurz vor Weihnachten die erste Eskalation: Pauli behauptete, Stoibers Büroleiter habe ihr Privatleben ausforschen wollen. Über Sex-Affären und Alkoholprobleme habe der Mann Erkundigungen einziehen wollen. Stoiber war entsetzt, aber nicht über seinen Mitarbeiter, sondern über Pauli: "Sie sind nicht wichtig", beschied er die Landrätin im CSU-Vorstand. Ein schwerer Irrtum des CSU-Chefs.

Stoiber feuerte zwar seinen Büroleiter, beging aber einen Unterlassungsfehler: Er hätte sich schon vor Weihnachten öffentlich entschuldigen müssen. Statt dessen lehnte er sogar ein Gespräch mit der Landrätin ab, die derweil immer populärer und in Medien als Widerstandskämpferin gefeiert wurde. Nach Neujahr spitzte sich die Krise weiter zu. In den Medien wurden schon Nachfolgedebatten geführt. Das CSU-Präsidium gab dem Chef noch einmal "volle Rückendeckung" und sprach sich für Stoiber als CSU-Chef und Ministerpräsident auch über das Jahr 2008 aus, wenn in Bayern ein neuer Landtag gewählt wird.

"Ich weiß, daß ich im Feuer stehe"

Stoiber beging den nächsten Fehler. Auf der Kreuther Klausurtagung der CSU-Bundestagsabgeordneten sagte er zur Frage, ob er sich vorstellen könne, etwa zur Hälfte der nächsten Legislaturperiode aufzuhören: "Wer mich kennt, weiß, daß ich keine halben Sachen mache." Die Landtagsfraktion reagierte entsetzt: "Es ist unüberhörbar, daß sich die Stimmen mehren, daß man vielleicht doch in einer anderen Formation in die Landtagswahl 2008 gehen will", so Fraktionschef Joachim Herrmann. Und Landtagspräsident Alois Glück, der große alte Mann der CSU, philosophierte darüber, daß man in Thüringen den Wechsel von Bernhard Vogel zu Dieter Althaus auch gut geschafft habe. Parallel häuften sich die Meldungen der Abgeordneten aus den Wahlkreisen, daß die Bürger Stoiber nicht mehr sehen und hören könnten und neue Gesichter an der Spitze sehen wollten.

Stoiber soll sich gegen jeden Rat verschlossen und in seiner Staatskanzlei abgeschottet haben. Statt das Gespräch mit Parteifreunden zu suchen, kündigte er an, für Bayern, die CSU und natürlich für sich kämpfen zu wollen. Auf seinem Neujahrsempfang in der Münchener Residenz, der einem Abschiedsabend glich, sagte er: "Ich weiß, daß ich im Feuer stehe." Aber wer in der Küche sei, müsse Hitze aushalten können.

Doch jetzt scheinen die Temperaturen zu stark gestiegen zu sein. Das Ende scheint nahe zu sein. Auf der Klausur der Landtagsabgeordneten sah sich Stoiber massiven Attacken ausgesetzt.

In dieser einzigartigen Situation, die die Amigo-Affäre des ehemaligen Ministerpräsidenten Max Streibl bei weitem in den Schatten stellt, beginnt die Partei sich selbst zu zerlegen. Wahrscheinlich gute Parteifreunde steckten der Bild-Zeitung, daß Landwirtschaftsminister Horst Seehofer, bislang als im Ruf des guten Familienvaters stehend, in Berlin eine Affäre mit einer jungen Brünetten habe, die ihm die langen Abende in der Hauptstadt versüße. Seehofer war für den Fall von Stoibers Abtritt als erster Anwärter auf den CSU-Vorsitz genannt worden. Ob die CSU ihn jetzt noch akzeptieren würde, bleibt abzuwarten. Erste Reaktionen von Abgeordneten besagen, daß die Sache als "dramatisch" eingeschätzt wird.

Die CSU steht vor einer dramatischen Lage. Stoiber ist fast erledigt, Seehofer als potentieller Nachfolger im Parteiamt angezählt. Andere Politiker, die die CSU in Berlin und bundesweit vertreten könnten, sind nicht in Sicht. Innenminister Günther Beckstein, der als neuer Ministerpräsident im Gespräch ist, steht nur für Innenpolitik, aber er verkörpert nicht die ganze Bandbreite der Politik. Damit könnte die CSU als konservativ-sozialer Block, der die CDU ergänzte und ihr Wähler zuführte, am Ende sein. Das würde auch die CDU und damit die gesamte politische Mitte in Deutschland schwächen.

Sitzung des bayerischen Kabinetts am Montag, Edmund Stoiber (l.), Wirtschaftsminister Erwin Huber (r.): Die Zeichen stehen schlecht


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