© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Karfreitag im Januar
Berlin: Mit einer Demonstration, die zur Prozession gerät, gedenkt die deutsche Linke Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts
Christian Dorn

Auch neunzig Jahre nach der "Großen Sozialistischen Oktoberrevolution", mit der die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein für allemal abgeschafft werden sollte, dauert der Traum vom Reich des Kommunismus an. Sichtbarster Ausdruck dieser diesseitigen und in ihrer Realisierung mörderischen Heilserwartung ist in Deutschland der alljährlich stattfindende Gedenkmarsch zu Ehren Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs, die am 15. Januar 1919 von Freikorpssoldaten der Garde-Kavallerie-Schützendivision verschleppt und ermordet worden waren. Den im Landwehrkanal treibenden Leichnam Luxemburgs fand man erst am 31. Mai. Liebknecht hatte man im Tiergarten erschossen. Die Leichenzüge für Luxemburg und Liebknecht gerieten zu gewaltigen Massendemonstrationen.

Dies ist, in Kürze, die Karfreitagsgeschichte der deutschen Sozialisten. Was ihnen fehlt, ist bekanntlich die Auferstehung. Darum machen sie sich jedes Jahr aufs neue am zweiten Januarwochenende auf den Weg, um sich ihres Glaubens zu vergewissern. Doch sie finden nur Tote. So auch vergangenen Sonntag. Während die Linkspartei von 60.000 Teilnehmern sprach, meldete Polizei nur eine ungefähre Zahl von "einigen tausend".

Das jedoch änderte nichts an dem Bild, das sich in der Frankfurter Allee bot, auf der die Prozession gen Osten Richtung Friedhof zog. Es schien der "endlose Zug von Millionen" zu sein, der sich für den Betrachter von Horizont zu Horizont erstreckte. Geographisch gesehen führt die Straße geradewegs Richtung Rußland, am vergangenen Sonntag aber zeigte sich unzweifelhaft, daß der Demonstrationszug in die Vergangenheit gehen wollte, zurück in die Sowjetunion. Aus den Lautsprechern, die auf den mitfahrenden Wagen montiert waren, fehlte nur noch das Beatles-Stück "Back in the USSR" - doch "how lucky" die Massen waren, ließ sich auch so erahnen. Die Insignien des vergangenen Sowjet-Reiches, durch das der Neue Mensch in die Welt kommen sollte, waren in dem roten Fahnenmeer unübersehbar. Etwa bei zwei kommunistischen Gruppierungen aus der Türkei, die sich zum Verwechseln ähnelten: die TIKP und die TKPI. Zu unterscheiden waren sie nur durch eine Sowjetfahne, deren Hammer- und Sichel-Symbol um ein Maschinengewehr ergänzt war. Junge Mädchen von der MLPD hatten sich große Stalin-Porträts vor den Bauch gehängt. Hinter diesen Gruppierungen, geradezu als symbolisches Schlußlicht, liefen die Vertreter der Gewerkschaft Verdi. Vor ihnen marschierte gewissermaßen die ideologische Avantgarde.

Dazu zählten, neben den stalinistischen Splittergruppen, im Prinzip alle bekannten linken Gruppierungen und Parteien: Linkspartei, deren Jugendverband "Solid", die DKP, der Jugendverband "Rebell" und dessen Kinderorganisation "Rotfüchse". So ein kleiner Rotfuchs war auch ein kleines Mädchen, das wohl noch im Vorschulalter war. Auf die via Lautsprecher verbreitete Frage: "Wieso seid Ihr Rofüchse hier?" rief es inbrünstig mit heller Stimme: "Weil wir wollen, daß Merkel verschwindet."

Weniger harmlos waren hingegen die Verlautbarungen des über 500 Demonstranten zählenden schwarzen Blocks der Antifa, der im hinteren Drittel des Zugs lief und von der Polizei eskortiert wurde. Dort wurde mit unverhohlener Freude via Lautsprecher ein spezieller Antifa-Jahresrückblick vorgetragen. Für die Polizisten muß es der reinste Hohn gewesen sein, eine Provokation sondergleichen. Mit unverhohlener Schadenfreude in der Stimme verkündet eine Frauenstimme in schier endloser Folge die im vergangenen Jahr erfolgreich verübten Brandanschläge, deren Täter nicht gefaßt werden konnten. Genüßlich wird an die in Flammen aufgegangenen Wagen einer berliner Umzugsfirma erinnert, die sogenannte "Zwangsumzüge" von Hartz-IV-Beziehern ausgeführt hatte. Dergleichen feiert man das - als Protest gegen Studiengebühren - ausgebrannte Privatauto eines Universitätsarztes in Bielefeld. Als musikalischer Gruß wird Extrabreit gespielt: "Hurra, hurra, die Schule brennt".

Schließlich biegt der Wallfahrtszug der kommunistischen Ökumene, der durch ein ferngezündetes Knallkörperpaket kurz aufgehalten worden war, in die Zielgerade ein zur "Gedenkstätte der Sozialisten". Dort befindet sich seit wenigen Wochen der Stein des Anstoßes. Eine kleine Platte aus rotem Porphyr, die den Opfern des Stalinismus gewidmet ist. Weil es diese nicht geben darf, stehen die Genossen der DKP am Friedhofseingang. Dort halten sie ein Transparent, dessen Farbe so grau ist wie ihre Gesichter: "Mit Antikommunismus läßt sich Faschismus nicht bekämpfen", ist dort zu lesen. Auf Unterschriftenlisten, die zu Hunderten von den herannahenden Besuchern unterzeichnet werden, wird die Zerstörung des Steines gefordert. Auf Nachfrage erklärt der DKP-Aktivist, daß man es aus Rücksicht auf Empfindlichkeiten natürlich anders formuliert habe: Man plädiere für die ursprüngliche Wiederherstellung der Gedenkstätte.

"Schweine, die Stalin leider vergessen hat"

Am Stein selbst tobt die Auseinandersetzung. Ein halbes Dutzend Menschen von dem Verein, der den Gedenkstein initiiert hatte, wehrt sich gegen die Beleidigungen und Schändungen des Totengedenkens. Kränze (einer von der SPD) werden weggezerrt und zertreten. Erde wird auf den Stein gekippt, Eier fliegen. Zahllose alte, aber genausogut junge Leute beschimpfen die Verteidiger des Steins als Nazis, Rechtsradikale oder "Schweine, die Stalin leider vergessen hat". Dessen Verbrechen werden hier komplett geleugnet. Wenn es nach dem Willen einiger Bürgerrechtler um Freya Klier ginge, und die Leugnung kommunistischer Verbrechen wie die des Nationalsozialismus bestraft würde, würde die Bundesrepublik an nur einem Nachmittag Hunderte, wenn nicht Tausende neuer Häftlinge zählen.

Foto: Demonstrationsteilnehmer: DDR-Devotionalien


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