© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Roter Kanzler, schwarz-rosa Politik
Österreich: Die SPÖ akzeptiert die ÖVP-Agenda und erhält dafür symbolische Entschädigungen
Friedrich-Wilhelm Moewe

Alfred Gusenbauers "Sandkastentraum" ist wahr geworden. Doch dafür hat seine SPÖ ihre Versprechen gebrochen und ihre Wähler verraten. Ob im Bereich der Sozialpolitik, bei den Studiengebühren oder in Sachen Eurofighter-Kauf: In allen Punkten, die der sozialdemokratische Wähler eigentlich für Koalitionsbedingungen gehalten hatte, ist die SPÖ eingeknickt - und obendrein erhält die ÖVP noch die Schlüsselministerien für Finanzen und Inneres. Die SPÖ-Basis rebelliert, ebenso Gewerkschaften, Hochschülerschaft oder Senioren.

Auch in der Außen- und EU-Politik ändert sich kaum etwas, Ursula Plassnik (ÖVP) bleibt im Amt. "Auf Basis der immerwährenden Neutralität wird Österreich weiterhin ein solidarischer Partner sein und sich weiter intensiv an der Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beteiligen", versprach Gusenbauer am Dienstag in seiner ersten Regierungserklärung - ein Widerspruch in sich.

Volksabstimmung über EU-Beitritt der Türkei

Phrasen wie "Für ein starkes, soziales und modernes Europa" bedeuten in Wahrheit den Ausbau der gemeinsamen EU-Außen- und Sicherheitspolitik Europas, "solidarische" Beiträge bei EU-Missionen, mehr Brüssel im Bereich Sicherheit, Justiz, Inneres und Einwanderung. "Die europäische Integration ohne die Länder des Westbalkans wäre wohl unvollständig", erklärte der Kanzler. "Wichtig ist jedoch auch, mit Nachbarn der Europäischen Union andere, maßgeschneiderte Kooperationen jenseits des Beitritts zu entwickeln" - was eine Absage an den EU-Beitritt der Türkei bedeuten würde.

Daß ausgerechnet Rot-Schwarz in Brüssel sein Veto einlegt, ist aber nicht zu erwarten - die bisherige ÖVP-Linie, letztendlich doch immer ja zu sagen, wird wohl ebenfalls fast eins zu eins fortgesetzt. Die Verhandlungen mit der Türkei sollen einen "offenen Ausgang" haben, schrittweise soll eine "maßgeschneiderte türkisch-europäische Gemeinschaft" geschaffen werden. Die Österreicher sollen bei Vorliegen eines Verhandlungsergebnisses mit Beitrittziel aber "in einer Volksabstimmung das letzte Wort haben".

Kein "Förder-Euro" dürfen in Brüssel liegenbleiben, fordert das rot-schwarze Regierungsabkommen, die Entwicklung des ländlichen Raums soll vorangetrieben werden, außerdem unterstützt man die Schaffung eines Europäischen Technologieinstituts (European Institute for Technology/EIT) mit Sitz in Österreich. Die neue Bundesregierung bekennt sich zum Grundsatz des effektiven Multilateralismus, die Vereinten Nationen seien das "Kern-Kompetenzzentrum zur internationalen Förderung des Friedens, der Sicherheit und Gerechtigkeit". Man will eine Kandidatur für einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat und eine finanzielle Förderung der Uno sowie die Stärkung Österreichs als Amtssitz internationaler Organisationen.

Dazu gehört auch die Umwandlung der 1997 in Wien angesiedelten EU-Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) in eine sogenannte EU-Menschenrechts-agentur mit breitem Mandat. Das hört sich undramatisch an - bedeutet aber in Wahrheit die Schaffung einer weiteren überflüssigen EU-Institution, die sich vornehmlich darauf konzentrieren würde, das geplante "Antidiskriminierungsprogramm" der EU umzusetzen und zu kontrollieren.

Und genau in solchen Bereich liegen auch die "Verhandlungserfolge" der SPÖ. "Es ist mir ein besonders wichtiges Anliegen, Menschenrechte, Demokratie und Toleranz in unserem Land, aber auch international zu stärken", sagte daher der Bundeskanzler. Das kostet nichts, bringt aber publizistischen Beifall. "Frauenpolitik ist dieser Bundesregierung besonders wichtig", betonte Gusenbauer. Praktisch bedeutet es bloß, daß Doris Bures, eine der engsten Vertrauten und eine langjährige Mitstreiterin des Bundeskanzlers, zu Ministerwürden kommt. Die seit 2000 amtierende SPÖ-Bundesgeschäftsführerin hat das Frauenressort übernommen.

Wohl passend dazu hat die ÖVP Andrea Kdolsky zur neuen Ministerin für Gesundheit und Familie gemacht. Die 44jährige Krankenhausmanagerin hat in dem 2006 von Birgit Kofler herausgegebenen Buch "Kinderlos, na und? Kein Baby an Bord" die Vorteile der Kinderlosigkeit gepriesen. "Weil wir angeblich schuld sind am Pensionsdesaster, will man uns auch gleich noch mal zur Kasse bitten", kritisierte Kdolsky Pläne, Kindererziehungsleistungen in der Rentenpolitik noch stärker zu berücksichtigen. Konservative ÖVPler waren angesichts solcher Aussagen entsetzt. Doch die Ministerin verteidigte ihren Standpunkt. "Die Entscheidung für oder gegen Kinder ist eine private", sagte sie dem Wiener Kurier. "Meine Aussagen beziehen sich auf sehr persönliche Erfahrungen während meiner Scheidung." Diese habe aber keinen Einfluß auf ihre Arbeit als Familienministerin.

"Und so haben wir zwischen der Sozialdemokratischen Partei Österreichs und der Österreichischen Volkspartei eine Zusammenarbeit für die nächsten vier Jahre vereinbart", sagte der Kanzler. "Mit einem sehr ambitionierten Programm, das die Handschrift beider Partner trägt" - zumindest bei den weichen Themen scheint sich die SPÖ doch durchgesetzt zu haben. Und daß mit Norbert Darabos (SPÖ) ein Wehrdienstverweigerer und Zivildiener neuer Verteidigungsminister wurde, überrascht daher wohl niemanden mehr.


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