© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Auf die Nase kommt es an
Für Korrekturen ist es nie zu spät: Wissenschaftler rekonstruieren die wahre Physiognomie Dantes
Richard Stoltz

Dank sei den Anthropologen! Wenig Genaues ist ja bekannt über die Lebensumstände des großen Dante Alighieri, des Schöpfers der "Göttlichen Komödie" und der italienischen Hochsprache, nur die sterblichen Überreste des 1321 Verstorbenen in der Franziskanerkirche von Ravenna sind gesichert. Und wie die Zeitung La Repubblica berichtet, hat jetzt eine mittels moderner Computertechnologie vorgenommene genaue Untersuchung dieser Gebeine, speziell des Schädels, neue spektakuläre Erkenntnisse an den Tag gebracht.

Demnach hatte Dante gar keine kühne Hakennase und kein spitzes Kinn, wie es die Bilder von ihm vorspiegeln. "Sein Gesicht sieht ziemlich anders aus, als wir erwartet haben", wird Giorgio Gruppioni von der Universität Bologna zitiert. Einer dreidimensionalen Rekonstruktion zufolge war des Dichters Nase völlig gerade und relativ kurz. Dante sah "ganz durchschnittlich" aus, hurra!

Schuld an der falschen Hakennase, so die Wissenschaftler, waren Boccaccio mit seiner Dante-Biographie sowie Giotto und Botticelli, die ersten Dante-Porträtisten, die sich an einer - ungesicherten - Totenmaske orientierten und eben an dem "verklärenden" Buch von Boccaccio. An Giotto und Botticelli richteten sich alle späteren Porträtisten aus, von Raffael bis Gustave Doré, und so nahm der Irrtum seinen Lauf.

Nun fällt es uns wie Schuppen aus den Haaren: Dantes Lebenstragödie, seine unsterbliche und unerwiderte Liebe zu der literarisch bezeugten Beatrice, verdankte sich einer simplen anatomischen Unregelmäßigkeit, genauer: Regelmäßigkeit. Hätte er wirklich jenes interessante, renaissancehafte Raubvogelgesicht vorzeigen können, wie es irrtümlich überliefert ist - nie hätte Beatrice nein sagen können. Sie, ein feines Edelfräulein mit höchsten Ansprüchen, wollte eben einfach keinen Durchschnitt, der sich schon an der Nase ablesen läßt.

Wie heißt es so schön erhaben im ersten Paradies-Gesang der "Göttlichen Komödie"? "So winkt ein eigner Hafen jedem Kiele / im Meer des Seins, nach dem das Steuer allen / ein eigner Trieb gestellt in eignem Spiele." Die moderne Anthropologie ruft höhnisch dazwischen: Manchmal genügt schon eine Durchschnittsnase, um den Hafen und den Ausgang des Spiels genau festzulegen.


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