© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Zeitschriftenkritik: Spektrum der Wissenschaft
Wissen macht den Meister
Thorsten Thaler

Als "Genie" oder "Wunderkind" wird man nicht geboren, dazu wird man "gemacht"; für die Herausbildung von Expertenkönnen und Meisterehren sind Motivation und ein intensives Training in jungen Jahren wichtiger als angeborene Fähigkeiten. Zu diesem Schluß kommt der Titelbeitrag "Wie Genies denken" zum Stand der Hirnforschung in der Januar-Ausgabe der renommierten Monatszeitschrift Spektrum der Wissenschaft.

Gestützt auf Untersuchungen über meisterliche Fähigkeiten im Schach - das königliche Spiel gilt als wichtigster Prüfstein für Theorien der Kognitionswissenschaft -, zeigen jüngere Forschungsergebnisse, daß Schachgroßmeister sich weniger auf größeres angeborenes Talent zum analytischen Denken stützen als auf einen riesigen Datenspeicher aus strukturiertem Wissen. "Mit einer komplizierten Stellung konfrontiert, mag ein schwächerer Spieler eine halbe Stunden über dem Brett brüten und viele Züge vorausberechnen, auf den richtigen aber trotzdem nicht kommen", heißt es dazu in dem Beitrag von Philipp E. Ross, Autor bei Scientific American und selbst Schachspieler. "Ein Großmeister hingegen sieht diesen Zug sofort, ohne überhaupt bewußt irgend etwas zu analysieren."

Verantwortlich dafür sei eine Gehirnleistung, mit der Schachspieler die natürliche Limitierung des Arbeitsgedächtnisses unterlaufen. Im Gegensatz zu "Normalsterblichen", die nur fünf bis neun Dinge gleichzeitig im Kopf behalten können, fassen Schachmeister Informationen zusammen und speichern sie als hierarchisch strukturierte Bündel bzw. Brocken ab, die leicht im Langzeitgedächtnis auffindbar sind und für Denkprozesse ins Arbeitsgedächtnis geholt werden können. So kann ein typischer Großmeister auf bis zu 100.000 Informationsbündel zugreifen. Andere Studien stützen zudem die Annahme, daß Experten ihr Langzeitgedächtnis viel stärker aktivieren als Anfänger.

In jedem Fall erfordert es einen enormen Aufwand, alle Informationsstrukturen im Gehirn zu verankern. Es bedarf jahrelanger konzentrierter Übung, um auf irgendeinem Gebiet ein Meister zu werden. "Selbst sogenannte Wunderkinder wie Gauß in der Mathematik, Mozart in der Musik oder Bobby Fischer im Schach müssen solch ein intensives Training durchlaufen haben - wahrscheinlich fingen sie nur früher damit an und mühten sich mehr als andere", schreibt Ross.

Ob indes daraus der Umkehrschluß gezogen werden kann, daß sich "im Grunde jedes Kind bei entsprechender Förderung schnell zu einem Könner heranziehen" läßt und deshalb hier Lehrer und Erzieher gefordert seien, ist mehr als fraglich. Und selbst wenn: Was wäre das für eine Welt, in der es vor lauter Genies nur so wimmelt?

Ein anderer Beitrag geht der Hypothese nach, der zufolge viele Formen von Krebs ihren Ursprung in entarteten bzw. entgleisten Stammzellen haben. So sei für bestimmte Krebsarten inzwischen nachgewiesen, daß nicht jede beliebige Krebszelle nach erfolgter Behandlung wieder neues bösartiges Gewebe herbringen kann. Quelle neuen Wachstums und höchstwahrscheinlich auch des Tumors seien vielmehr sogenannte Krebsstammzellen. Dabei handelt es sich um einstmals normale Stammzellen oder deren unreife Tochterzellen, die dann bösartig wurden. Sie besitzen die Fähigkeit, sich selbst zu erneuern und das gesamte Zellspektrum des Ausgangstumors wieder herzustellen. Deswegen komme es bei der Therapie von Krebspatienten vor allem darauf an, diese wenigen malignen Tumorstammzellen zu eliminieren.

Da ist es um so bedenklicher, daß Deutschland bei der Finanzierung der Stammzellforschung im internationalen Vergleich weit hinterherhinkt.

Kontakt: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Slevogtstr. 3-5, 69126 Heidelberg, Tel: 0 62 21 / 91 26-600, Internet: www.spektrum de. Das Einzelheft kostet 6,90 Euro, das Jahresabo 75,60 Euro


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