© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/07 19. Januar 2007

Das Hohelied der Raffgier
Mammon mein: So ärgerlich wie "Streben nach Glück" war Kino lange nicht
Silke Lührmann

Mitunter zeigt sich Hollywood ganz ungeniert von seiner übelsten Seite. Nicht daß "Das Streben nach dem Glück" ein schlechter Film wäre, im Gegenteil bietet Regisseur Gabriele Muccino alles auf, was zum zweistündigen Zeitvertreib dazugehört: sympathische Hauptfiguren, gute Besetzung (allen voran Vater und Sohn Smith), flottes Erzähltempo, pfiffiges Drehbuch (Steven Conrad), sonnige Melodien und viel Herz - am falschen Fleck. Der Italiener inszeniert, und das auch noch "inspiriert von einer wahren Geschichte" aus den 1980ern, die neoliberale Variante des Hiob-Gleichnisses, in der US-Eigenreklame zumeist bekannt als rags-to-riches story oder auch "amerikanischer Traum".

Immerhin muß Chris Gardner (Will Smith) seinen mühseligen, aber unaufhaltsamen Aufstieg nicht als Tellerwäscher beginnen. Er lebt in San Francisco als selbständiger Handelsvertreter, wenn auch für ein Produkt, das niemand kaufen will: ein Knochendichtemeßgerät mit ungünstigem Preis-Leistungs-Verhältnis. Das tagtägliche Straßenbild einer Herrenrasse glücklicher Erfolgsmenschen, wie wir sie aus allerlei Werbespots und natürlich aus Tom Wolfes "Fegefeuer der Eitelkeiten" (1987) kennen, bringt rasch die Erleuchtung: Yuppie müßte man sein!

Wie gnadenlos hektisch es in den Großraumbüros des Börsenunwesens zugeht, weiß das Kinopublikum schon seit Oliver Stones "Wall Street" (1987). Und daß Will Smith der Mr. Universum des flinken Mundwerks ist, hat er in den "Men in Black"-Filmen bewiesen. Nebst dem Talent, einen Rubik-Würfel während einer 17-Dollar-Taxifahrt zu entzaubern - "(eine Modeerscheinung der frühen Achtziger)", erläutert das Presseheft hilfreich, als gelte es den Untergang einer verflossenen Zivilisation zu betrauern -, qualifiziert ihn dies für einen unbezahlten Ausbildungsplatz bei einer renommierten Maklerfirma. Diese Szene freilich ist Conrads kreativer Phantasie entsprungen, der echte Gardner will ein solches Spielzeug nie in der Hand gehalten haben.

Um so eifriger wird auch er die reine Lehre des ganz undialektischen Materialismus aufgesogen haben. Von Prekariat sprach 1981 noch niemand. Statt dessen lernt der angehende Millionär, Zeit weder auf der Toilette noch durch Auflegen des Hörers zwischen zwei Telefonaten zu verschwenden. Das Erfolgsrezept, sich Mißerfolg nicht anmerken, geschweige denn ansehen zu lassen, kennt er längst, kommt noch geschniegelt ins Büro, als er im Obdachlosenheim übernachten muß, und ist gerne bereit, dem Chef seine letzten Dollar zu leihen, wenn der die Brieftasche vergessen hat.

Während Wolfes Roman (1990 mit Tom Hanks in der Hauptrolle unbefriedigend verfilmt) die häßliche Fratze der seinerzeit von weisen Staatsmännern und Eisernen Ladies zur obersten Räson erhobenen Raffgier präsentiert, kann nur der ideologisch Verbohrteste Gardner ein gewisses Mitgefühl versagen. Der Habenichts, aber Taugeviel, aus dem ein Habeviel wird - welcher Lebensweg eignete sich besser für ein Rührstück? Dem tapferen kleinen Christopher (Jaden Christopher Syre Smith) mit seinem kecken Afro, Lausbubengrinsen und unverbrüchlichem Vertrauen, das er allein dem Vater schenkt, vermag sich erst recht kein Herz zu verschließen, so anders es sonst auch schlägt.

Gardner erleidet einen Rückschlag nach dem anderen - Auto weg, Frau weg, Wohnung weg, Ersparnisse von der Steuerbehörde beschlagnahmt - und zweifelt doch keinen Moment lang an seinem Götzen namens Mammon. Die "Captain America"-Puppe des fünfjährigen Sohnes bleibt dabei ebenso auf der Strecke wie die Freundschaft mit einem weniger proaktiven Nachbarn.

Denn dem Glück gilt es hinterherzuhecheln: Nicht zufällig verspricht die amerikanische Unabhängigkeitserklärung nur das Recht, danach zu streben - weniger weil Thomas Jefferson ein so weiser Philosoph war, wie Gardner in einer seltenen Atempause sinniert, sondern weil die Lüge von den unbegrenzten Möglichkeiten in der Neuen Welt seit jeher schlagkräftiger erschallte als jede Forderung nach sozialer Gerechtigkeit. Daß "Glück" lediglich schöner klingt als "Kaufkraft", verstand sich schon für die Gründerväter von selbst.

Nachdem Gardners Geschick mit dem Zauberwürfel frei erdichtet ist, hätte sich mit etwas erzählerischer Gnade auch der Wunsch eines verzweifelten Alt-Hippies erfüllen lassen. Dieser hält das sperrige Röntgengerät, das Gardner überall mit sich herumschleppt, für eine Zeitmaschine und bittet inbrünstig darum, ihn in die sechziger Jahre zurückzubefördern. Doch "Kapitalismuskritik verhält sich zum Kapitalismus wie der Hofnarr zum Hof", wie Michael Scharang jüngst in der Zeitschrift Konkret über den "Kult ums Kapital" schrieb - welcher Narr möchte da nicht lieber Hofbarde sein?

So gönnt der Film nur Gardner seinen ersehnten Geldsegen, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute: die einen auf der Straße und dem Bahnhofsklo, die anderen in postfordistischem Protz. So ärgerlich war Kino nicht mehr, seit Julia Roberts 1990 als "Pretty Woman" den Trauring einem Collegestudium vorzog.

Foto: Chris Gardner (Will Smith) mit seinem Sohn (Jaden Smith): Yuppie müßte man sein!


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