© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/07 26. Januar 2007

Die Stunde der Diadochen
CSU: Auch nach der Rücktrittsankündigung Edmund Stoibers kommt die Partei nicht zur Ruhe / Streit um die Parteiführung
Paul Rosen

Zeitungsmacher hatten am Donnerstag vergangener Woche ein Problem. Ein Orkan tobte über Deutschland, und in Bayern ging die politische Welt unter. Die Münchener Abendzeitung brachte die Erschütterungen auf die Gesamtschlagzeile "Orkan über Bayern - Stoiber haut's um". Tatsächlich hat die Ära des bayerischen Ministerpräsidenten nach rund 14jähriger Amtszeit ein abruptes Ende gefunden. Obwohl Stoiber seine Ämter in Partei und Regierung erst zum 30. September abgeben will, richten sich alle Blicke auf die Nachfolger.

Nach den Ergebnissen einer nächtlichen Kungelrunde im abgeschotteten Wildbad Kreuth soll Innenminister Günther Beckstein neuer Ministerpräsident des Freistaates werden, während Wirtschaftsminister Erwin Huber den CSU-Vorsitz übernehmen will. Dagegen rennt jedoch der Berliner Landwirtschaftsminister und Sozialexperte Horst Seehofer Sturm.

Die bayerischen Chaostage hatten mit der Kreuther Klausurtagung der CSU-Landesgruppe am 8. Januar begonnen. Seinerzeit hatte auch noch das Präsidium der Partei Stoiber "volle Rückendeckung" gegeben. Parteiexperten wissen längst, daß bei Abgabe solcher Solidaritätserklärungen das Ende nahe ist. Stoiber hielt sich noch eine Woche, bis er auf der zweiten Kreuther Klausurtagung, diesmal der Landtagsfraktion, nur noch eingeschränkte Solidarität erhielt. Danach erfolgte der Rücktritt: "Diese Entscheidung habe ich getroffen, weil es mir wichtig ist, zum richtigen Zeitpunkt für Bayern und für die CSU zu handeln."

In seiner Umgebung heißt es lakonisch, der CSU-Chef habe wenigstens das letzte Ziel erreicht, sich nicht in Kreuth wie ein Hund vom Hof jagen zu lassen, sondern den Abschied im eigenen Haus - der Staatskanzlei - selbst zu verkünden.

Für den Sturz sorgte nicht die "schöne Landrätin" Gabriele Pauli aus Fürth, die seit langem Stoibers Abschied forderte und von einem Mitarbeiter der Staatskanzlei ausspioniert wurde. Die Entscheidung fiel nach einer klassischen Machtverschiebung in den Gremien der CSU. Bisher standen sich mehrere Lager verfeindet gegenüber. Es gab die zahlenmäßig großen Stoiber-Anhänger, deren Anhängerschaft aber schrumpfte, nachdem Stoiber einen Fehler nach dem anderen beging und nicht die Größe aufbrachte, sich bei Pauli zu entschuldigen. Es gab auch ein großes Huber-Lager, meistens natürliche Verbündete der Stoiber-Fraktion. Immerhin war Huber lange Jahre rechte Hand des Ministerpräsidenten in der Staatskanzlei.

Dagegen stand ein großes Beckstein-Lager. Der 63 Jahre alte Franke wollte bereits im Herbst 2005, als Stoiber eigentlich nach Berlin gehen wollte, bayerischer Ministerpräsident werden und lieferte sich heftige Schlachten mit Huber, der ebenfalls diesen Posten anstrebte. Seitdem waren sich die beiden nicht mehr grün.

Erst auf der zweiten Kreuther Klausur kam der Friedensschluß. Stoiber bemerkte, daß er keine Mehrheit mehr hatte, wollte nicht zum Scharping der CSU werden und trat zurück. Wenn eines bei ihm noch funktionierte, dann war es sein Machtinstinkt, der Stoiber sagte, daß die Stunde der Diadochen gekommen war.

Beckstein dürfte der Aufgabe des Ministerpräsidenten gewachsen sein. Er ist ein ausgezeichneter Verwaltungsmann, steht allerdings thematisch nur für die klassischen Gebiete der Innenpolitik. Ob er die Eignung zum Landesvater hat, muß abgewartet werden. Für die Bayern wäre ein Ministerpräsident Beckstein eine Novität: Erstmals würden sie von einem Franken regiert und von einem Protestanten dazu. Mit seinen 63 Jahren ist Beckstein aber nur ein Ministerpräsident des Übergangs. Die CSU muß erst noch zum Generationenwechsel finden.

Michael Glos gilt immer noch als "Problembär"

Das gilt auch für Huber, der mit 60 gerade fünf Jahre jünger als Stoiber ist. Huber ist ein Polit-Profi alter Schule, nicht aalglatt, sondern klar im Ausdruck und durchsetzungsstark. Der Niederbayer war schon CSU-Generalsekretär, und als Chef der Staatskanzlei war er an allen Berliner Koalitionsgesprächen maßgeblich beteiligt. Auch wenn er im bayerischen Kabinett, wo er künftig Finanzminister sein soll, Beckstein unterstellt wäre, könnte er eine eigenständige Rolle spielen und den bundespolitischen Anspruch der CSU behaupten.

Aber die schönste Kungelrunde bringt nichts, wenn nicht alle maßgeblichen Mitspieler eingefangen werden. Aus Berlin gab es Proteste. Seehofer (57), gerade wegen einer Sex-Affäre mit einer schwarzhaarigen Bundestagsmitarbeiterin ins Gerede gekommen, die überdies ein Kind von dem bereits dreifachen Familienvater erwarten soll, meldete noch am Tag des Stoiber-Rücktritts ebenfalls Ambitionen auf den Vorsitz an.

Unterstützung erhielt er zunächst vom Chef der CSU-Landesgruppe, Peter Ramsauer. Wenn schon die Führung der CSU auf mehr als zwei Schultern verteilt werden solle, dann müsse ein Berliner Minister beteiligt werden. Da Wirtschaftsminister Michael Glos immer noch der Ruf des "Problembären" anhängt, konnte nur Seehofer in Betracht kommen.

Seehofer begann mit verbalen Attacken gegen Beckstein und Huber. Es sei ein "eigenartiger Vorgang, wenn Günther Beckstein mich dazu drängt, meine Kandidatur aufzugeben, ohne daß er zuvor mit mir darüber gesprochen hat", schimpfte er im Spiegel. Beckstein und Huber wiederum beteuerten, sie hätten versucht, Seehofer zu erreichen und einzubinden - vergeblich: Der eigenwillige Berliner Minister, der schon bei früheren Krisen tagelang nicht erreichbar war, hatte wieder einmal sein Mobiltelefon abgeschaltet.

Seehofer repräsentiert in der CSU wie kein zweiter den sozialen Flügel. Die kleinen Leute liegen dem früheren Gesundheitsminister am Herzen. Schon wegen der unionsinternen Planungen einer Gesundheitsreform mit Fondsmodell trat er vom stellvertretenden Fraktionsvorsitz zurück. Es war Stoiber, der ihn durch gutes Zureden in der Politik hielt und nach dem schlechten Abschneiden der CSU bei der Bundestagswahl 2006 sogar ins Bundeskabinett schickte, um das soziale Profil der Partei durch ein personelles Signal wieder zu schärfen.

Seehofer ist bundesweit bekannter und bei der bayerischen Bevölkerung beliebter als Huber. Der wiederum hat in allen Gremien, selbst in der Berliner Landesgruppe, Mehrheiten hinter sich. Seehofer gilt als unzuverlässig und unberechenbar, Huber als seriös und standhaft. Es kann sein, daß Seehofer in eine Kampfabstimmung auf dem Parteitag Ende September zieht. Es kann auch sein, daß er in Kürze alles hinschmeißt. Das macht Prognosen unmöglich.

Foto: Der designierte CSU-Vorsitzende Erwin Huber (l.) und Ministerpräsidenten-Kandidat Günther Beckstein (r.): Was macht Seehofer?


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