© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/07 26. Januar 2007

Moskau hat auch andere Optionen
Rußland: Angesichts der jüngsten Energiekrise führt kein Weg an einer strategischen Partnerschaft zwischen EU und Rußland vorbei / Selbstbewußtsein wächst
Wolfgang Seiffert

Eigentlich ist der jüngste Streit zwischen Rußland und Weißrußland gelöst. Beide Seiten haben neuen Lieferverträgen für Erdöl und Gas zugestimmt. Dennoch war die Energiesicherheit natürlich zentrales Thema beim Treffen von Angela Merkel mit Wladimir Putin im Schwarzmeerbad Sotschi. In ihrer Eigenschaft als EU-Ratspräsidentin und G8-Chefin erklärte die Kanzlerin, daß die Kommunikation verbessert werden müsse, um "Irritationen" wie zu Jahresbeginn, als auch die EU-Länder von den russischen Öl- und Gaslieferungen abgeschnitten war, zu vermeiden. Der russische Präsident versicherte, sein Land sei offen für den "Energiedialog" - allerdings "auf Grundlage der Gleichberechtigung und der gegenseitigen Interessen".

Doch die Gegenseitigkeit scheint dem Westen Probleme zu bereiten, wie angesichts der antirussischen Kampagne zu Jahresbeginn erkennbar war. Anlaß war die berechtigte Sorge um die Energiesicherheit für Europa. Die Schärfe der Kritik läßt sich wohl nur mit den anstehenden Duma-Wahlen im Dezember und den Präsidentenwahlen 2008 erklären. Doch die Möglichkeiten des Westens, in Rußland Einfluß auszuüben und dieses Land (oder wenigstens einige seiner Politiker) auf einen "genehmen" politischen Kurs zu bringen, sind sehr gering. Schließlich wird auch ins Weiße Haus 2009 nur jemand einziehen, der "America first" vertritt.

Die Mehrheit will Stabilität und fürchtet den Wechsel

Die meisten westlichen Analysten hängen immer noch Wunschvorstellungen bezüglich Rußlands innerer wie äußerer Entwicklung an. Das ist fatal für die Bestimmung speziell der deutschen Interessen. Die Russische Föderation ist 16 Jahre nach dem Untergang der Sowjetunion wieder ein Land mit Gewicht. Sie ist nicht nur Atom- und Weltraummacht sowie Mitglied des Weltsicherheitsrates, sondern wichtiger Exporteur von Erdgas, Erdöl und anderen Bodenschätzen. Die Währungsreserven betrugen im vergangenen Jahr 182,2 Milliarden Dollar. Die Auslandsschulden sind fast abgebaut, das Land ist ein wichtiger Markt - speziell für deutsche Exportgüter.

"Rußland ist sicher keine 'lupenreine' Westminster-Demokratie", meinte Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der jüngsten Wirtschaftswoche. Aber seit 1993 hat Rußland immerhin eine Verfassung, die sich zu den Menschenrechten, zu Rechtsstaatlichkeit, Privateigentum und Demokratie bekennt. Und es verfügt über ein Verfassungsgerichtssystem nach deutschem Vorbild.

Die Mehrheit der Bevölkerung Rußlands hat sich in Abstimmungen und Wahlen zum herrschenden politischen System bekannt. Diese Zustimmung ist nicht gleichbedeutend mit Identifikation, aber die in den neunziger Jahren vorherrschende Tendenz, sich nach Westen zu orientieren, ist gebrochen. Heute will die Mehrheit vor allem Stabilität, sie befürchtet bei einem Wechsel der politischen Führungselite Machtkämpfe und innere Unruhen.

Die Position "Rußland den Russen" wird stärker und findet in vielfältigen Formen Ausdruck. Rußland soll wieder seinen ihm gebührenden Platz in der Weltordnung bekommen. Momentan werden die hohen Einnahmen aus dem Export der Bodenschätze genutzt, um den Lebensstandard zu verbessern - und gleichzeitig auch ehemalige Sowjetrepubliken wieder enger an Rußland zu binden. In unzureichendem Maße wird hingegen die eigene Industrie gefördert, was mittel- und langfristig zu Problemen führen wird. Profilierte russische Wirtschaftswissenschaftler sprechen daher von drei Optionen, zwischen denen Rußland sich entscheiden müsse. Sie betonen aber, daß dies erst unter einem neuen Präsidenten - dem Nachfolger Putins - ab 2008 erfolgen werde (JF 27/06). Rußland müsse wählen: entweder sich vollständig auf Europa oder auf Asien ausrichten - oder einen eigenen russischen Weg beschreiten.

Unterschiede "im Stil", ansonsten aber Kontinuität

Für welche Richtung man sich in Moskau entscheidet, hängt auch vom Verhalten der westlichen Partner ab. In diesem Zusammenhang sollte auch die kontrovers diskutierte strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und Rußland eingeordnet werden.

Wie schwierig dieses Thema ist, wurde Anfang Januar bei einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Berliner Hotel Adlon erneut deutlich. Altkanzler Gerhard Schröder und Putins Wirtschaftsberater Igor Schuwalow erläuterten Vorteile einer solchen Partnerschaft vor allem anhand der Energiebedürfnisse Deutschlands und Europas. Mit beißender Ironie wandte Schröder sich gegen "antirussische Reflexe", Vorurteile und "doppelte Standards".

Die anschließenden Fragen und Anmerkungen der anwesenden Minister, Abgeordneten und Medienvertreter (sowie ihre verfaßten Berichte) machten allerdings erneut deutlich, daß die meisten immer noch nicht verstanden haben, warum sich der deutscher Ex-Kanzler so vehement für eine deutsch-russische Partnerschaft einsetzt. Schröder selbst sah beim Vergleich zwischen seiner und der Rußlandpolitik seiner Nachfolgerin übrigens nur Unterschiede "im Stil", ansonsten aber Kontinuität.

Der Sotschi-Besuch bestätige das. Auch Merkel konstatierte eine strategische Abhängigkeit von russischen Energielieferungen. Und Steinmeier wies zu Recht darauf hin, "daß wir unseren Bedarf an fossilen Energieträgern in den nächsten 25, 30 Jahren aus immer weniger Quellen zu decken haben - darunter absehbar eben auch aus Rußland".

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel. Später lehrte er am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen