© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

Was von '68 übrigblieb
Achim Bornhaks Film "Das wilde Leben" zeigt die Kommunarden als Rumhänger
Claus-M. Wolfschlag

Uschi Obermaier gehört zu den Ikonen der deutschen 68er-Bewegung. Allerdings stand sie nicht so sehr für deren politische Fraktion als vielmehr für den "weichen Strom", den popkulturell und lebensreformerisch bedeutsamen Zweig der Studentenrevolte. Hippie-Urgestein Rainer Langhans, seinerzeit mit Obermaier liiert, sprach in der Anthologie "Bye-bye '68" (Leopold Stocker Verlag, Graz) bereits 1998 davon, daß dieser - oft nicht beachtete - Teil zu den heutigen Gewinnern aus jener Epoche gehöre, ganz im Gegensatz zu den gescheiterten Leninisten, Trotzkisten und Terroristen der politischen Fraktion.

Die Verfilmung von Obermaiers Leben bestärkt Langhans' Einschätzung, scheint dieses doch derart von einer Intensität, Energie und einem Freiheitsdrang geprägt, daß es zum stilprägenden Vorbild einer ganzen Generation werden konnte.

Die Geschichte beginnt in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Münchner Teenager Uschi Obermaier (Natalia Avelon), ein hübsches Kind aus der Unterschicht, verdreht gerne den Männern den Kopf. Über eine Musikgruppe gerät sie in Kontakt zur Berliner "Kommune 1", einer legendären Wohngemeinschaft, die sich als Polit- und Selbsterfahrungsexperiment versucht. Sie beginnt eine Partnerschaft mit Rainer Langhans (Matthias Schweighöfer), einem der dortigen Wortführer.

Die eigentlich politisch desinteressierte Obermaier macht, äußerst skeptisch beäugt von anderen Politkommunarden (Fritz Teufel, Dieter Kunzelmann), Model-Karriere und avanciert zum Sex-Symbol der 68er-Generation. Fotos von ihr erscheinen unter anderem auf den Titelseiten des Playboy und des Stern. Beide, die hübsche Uschi und der wild gelockte Rainer Langhans, entwickeln sich zum optischen Idealtypus der Hippie-Kultur, zu Pop-Ikonen.

Bedingt durch Differenzen in der weiteren Lebensplanung und die zunehmenden persönlichen Spannungen in der "Kommune 1" trennen sich Langhans und Obermaier aber schließlich.

Nach Affären mit den Rockmusikern Mick Jagger (Victor Norén) und Keith Richards (Alexander Scheer) lernt die lebenslustige Obermaier den schrillen Hamburger Kiez-Kneipier und Abenteurer Dieter Bockhorn (David Scheller) kennen und lieben. Sie verzichtet auf ihre Model- und Filmkarriere und geht mit Bockhorn in einem luxuriös ausgebauten Bus auf jahrelange Weltreise durch Asien und Südamerika. Es sollte Obermaiers glücklichste Zeit werden. Nach Bockhorns Tod 1984 durch einen Verkehrsunfall wandert Obermaier nach Kalifornien aus und lebt heute dort als Schmuckdesignerin. Sie feierte 2006 ihren sechzigsten Geburtstag.

Regisseur Achim Bornhak hatte bereits 1996 mit dem intellektuellen Science-Fiction-Film "Der Marianengraben", einem Studentenstreifen über die tägliche Selbstreproduktion eines Menschen, für Aufmerksamkeit im TV-Programm gesorgt. Danach arbeitete er in der Werbung, drehte Musikvideos für MTV und Viva. Sein Kinodebüt "Das wilde Leben" stellt zweifellos ein Zeitbild dar. Die Rollen sind perfekt besetzt, auch die gelungene Wahl der Lokalitäten in Berlin, München und dem südindischen Goa (unter anderem wurde hierfür der originale Reisebus Dieter Bockhorns wieder hergerichtet) vermittelt auf der bildlichen Ebene eine verblüffende Authentizität, die das Geschehen der sechziger und siebziger Jahre für Nachgeborene anschaulich werden läßt. Man sieht das Loft der Kommune, die Studentendemonstrationen auf Berlins Straßen, Reiterstaffeln der Polizei, erregte Passanten, die opulenten Partys der entstehenden Glam-Rock-Szene, den alten Hamburger Kiez mit Boxern, Dirnen und elegant gekleideten Zuhältern wie auch die orientalische Welt des Mittleren Ostens.

Dürftig bleibt in dem Streifen die Darstellung der Geistesgeschichte der 68er-Bewegung. Nur oberflächlich werden politische Inhalte der "Kommune 1" gestreift. Das mag aus Obermaiers Sicht vielleicht verständlich erscheinen, zeigt aber das Bild eines sich in stumpfen Phrasen ergehenden Haufens aus Selbstdarstellern und Rumhängern, dem man seine Attraktivität für viele Studenten der sechziger Jahre nicht so recht abnehmen möchte.

Rainer Langhans bemängelte denn auch unter anderem im Gespräch mit dem Autor, daß seine Rolle mit dem sicherlich talentierten Matthias Schweighöfer (Jahrgang 1981) zu jung besetzt war, so daß das Zerrbild eines sexuell verklemmten Jünglings entstanden sei. "Das wilde Leben" hat sich deshalb nun zu einem handfesten "Orgasmus-Streit" zwischen Obermaier und Langhans, der seine Persönlichkeitsrechte für 15.000 Euro verkauft hat, entwickelt, welcher derzeit bundesdeutsche Gazetten füllt.

Auch wenn der Film intellektuell zu viele Fragen offenläßt, also stark an der Oberfläche bleibt, und dadurch letztlich nicht befriedigt, liefert er doch einen sehr interessanten sinnlichen Einblick in die Welt vor vierzig Jahren.

Fotos: Demonstrantin Uschi Obermaier, dargestellt von Natalia Avelon: Die Schöne und die Biester, Uschi Obermaier, Rainer Langhans (Matthias Schweighöfer)


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