© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

CD: Klassik
Tagebücher
von Jens Knorr

D-Es-C-H - mit diesen vier Tönen beginnt Schostakowitschs 8. Streichquartett "gewidmet den Opfern von Faschismus und Krieg", komponiert in Gohrisch bei Dresden, wohin der Komponist im August 1960 gereist war, um an der Musik zu Lew Arnschtams Film "Fünf Tage - fünf Nächte" zu arbeiten, und niedergeschrieben innerhalb dreier Tage. Auf diese vier Töne ist das ganze Streichquartett aufgebaut, "gewidmet dem Andenken des Komponisten dieses Quartetts", und sie verklammern die Themen, die der Komponist seinen eigenen Werken, Wagners "Trauermarsch", Tschaikowskis "Pathétique" und dem Volkslied "Im Kerker zu Tode gemartert" entlehnte.

Nach Stalins Tod fand Schostakowitsch wieder mehr Anerkennung; 1960 schließlich gab er dem offiziellen Druck nach, sich zum Vorsitzenden des Komponistenverbands der RSFSR wählen zu lassen und in die KPdSU einzutreten. Mit dem 8. Streichquartett, einem Ausnahmewerk der Literatur, schrieb er - entgegen der offiziellen Widmung und doch konform - sein eigenes Requiem.

D. Sch., das ist das Monogramm Dmitri Schostakowitschs (1906-1975), aber es bedarf nur geringen kontrapunktischen Aufwands, aus diesen vier Tönen vier andere zu generieren: B-A-C-H. Schostakowitschs 15 Streichquartette sind autobiographische Erzählungen, doch erklärt sich ihre emotionale Wucht nicht aus den musikalischen Ausdrucksgehalten allein, sondern vielmehr daraus, daß der Hörer in einen kompositorischen Prozeß eingeschlossen wird, der die ihnen einzig angemessenen Formen jedesmal neu hervorbringt. Wo das Ich, das seine Haut zu retten suchte, längst in den Rollenmasken des Gottesnarren, Prätendenten und Chronisten aufgegangen ist (JF 39/06), da sind auch die Schemen der klassischen Sonatenform - als musikalisch formalisierte bürgerliche Selbstverständigung - obsolet.

Die Herrschaft über Mittel und Formen bringt keinen ins Leben zurück, sie zeichnet den Komponisten als Ohnmächtigen gegen die Vernichtung des Menschen, die sie überhaupt erst darstellbar macht. Von der unumkehrbar zerstörten Kindheitsidylle des ersten Streichquartetts an, des "Frühlingsquartetts", die Schostakowitsch 1938 beschwört, in der Zeit der "Großen Säuberungen", bis hin zu den rätselvollen letzten Quartetten, voll der Gesten des Verlö­schens und Auslöschens, scheinen streng kontrapunktisch geführte Sätze von Bachschem Format und hastig wie im Fieber hingeworfene sich wechselseitig zu bedingen. Den Kitt zwischen den unvereinbaren musikalischen Schichten der Quartette, die zusammen den unverwechselbaren Schostakowitsch-Sound ausmachen, bildeten bei den Älteren von Borodin- und Beethoven-Quartett die Lebensschicksale, die sie mit dem Komponisten teilten und die sie rückhaltlos in ihre Interpretationen einbrachten.

Den Jüngeren bleiben nur nackte Noten. Die Mitglieder des seit 2001 zusammen spielenden Rasumowsky-Quartetts Dora Bratchkova, Ewgenia Grandjean, Gerhard Müller und Alina Kudelevic haben sie in der neuen DSCH-Gesamtausgabe gelesen, die einzig die Autographe berücksichtigt, mit nüchternem, vielleicht sogar etwas kühlem Blick, als ginge es nicht um ihre Leben, die im musikalischen Experiment auf dem Spiel stehen. Darin bleibt ihre Interpretation unserer Übergangszeit verhaftet. Maxim Schostakowitsch, der Sohn des Komponisten, zählt sie zu den besten Interpretationen der Musik seines Vaters überhaupt. (Oehms Classics OC 562).

Gerade weil sie Authentizität nicht vortäuschen, gelingt es den Spielern, eine neue Seite des "Tagebuchs innerer Entwicklung" (Sigrid Neef) aufzuschlagen, freilich ohne ihr schon die sich immer weiter fortsetzenden Schrecken einzuschreiben, die Schostakowitsch seinen Streichquartetten eingeschrieben hat. Daran erkennt man den Klassiker.


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