© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Ohne Nation keine Identität
Ein Diplomat analysiert
Peter Lebitsch

Sind das hier Nazis?" fragte entgeistert ein deutscher Schüler, der in Oslo die "Vaterlandsbrücke" sah. Walter Wiese arbeitete früher im auswärtigen Dienst. Nun reflektiert er klug das "fehlende nationale Selbstbewußtsein" der Deutschen.

Zwar lohnt die Lektüre des Buches, doch hätte Wiese besser einen Essay geschrieben, statt die gesamte deutsche Geschichte zu repetieren. Der halbwegs kundige Leser muß unnötige Textpassagen schlucken. "Konformistische Linksintellektuelle" hätten den Nationalstaat diffamiert. Wiese verschweigt, daß auch konservative Politiker wie Adenauer "Europa" der deutschen Einheit vorzogen. In Frankreich trugen traditionell zwei Säulen - Nation und Staat - die Identität. In Deutschland entsprachen beide einander selten. Schuld daran trage die im Mittelalter entstandene Kleinstaaterei, etliche Historiker verharmlosen sie noch heute als "föderalistisch".

Die Vielfalt deutscher Leidenswege erschwere jegliche Traditionsbildung, zumal das Trauma der NS-Vergangenheit "die Nation bis in ihre Grundfesten" erschütterte. Dabei hält der Autor das "Dritte Reich" nicht für nationalistisch. Hitler "nahm keine deutschen nationalen Interessen wahr, sondern zerstörte Deutschland". Der Nationalsozialismus, oft mißverstanden, erneuerte nur die Kontinuität des universalen Reichgedankens. Trotz der langen deutschen Geschichte gefährden wenige NS-Jahre die Seele des Volkes. Polen habe schließlich nur wegen seines "gesunden Selbstbewußtseins" die Epoche der Teilungen überstanden. Fast immer plagten "Michel" ungeklärte Fragen der Identität.

Die Kirchenspaltung von 1054, welche Rom und Byzanz trennte, gelte noch heute, aber Brüssel ignoriere historische Kulturgrenzen. Erst recht sei vor einem EU-Beitritt der Türkei zu warnen. Der Islam komme als "trojanisches Pferd" nach Europa und erstrebe die Weltherrschaft. Letztlich scheitern die Gegner des Nationalstaates, weil sie keine realisierbare Alternative anbieten. Auch im künftigen Europa behalte der deutsche Nationalstaat seinen Wert. Alles andere gehöre in den "Bereich utopischen Denkens".

Walter Wiese: Deutschland über alles? Die Sicht eines deutschen Michel. Droste Verlag, Düsseldorf 2006, gebunden, 392 Seiten, 22,95 Euro


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