© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Antifaschistisch frisiert
Der Historiker Frank Hirschinger hat Lebensläufe gefeierter "Antifaschisten" untersucht und kommt zu teils überraschenden Ergebnissen
Ekkehard Schultz

In der DDR galten sie als die herausragenden Protagonisten der historischen, politischen und gesellschaftlichen Moral: "Antifaschistische Widerstandskämpfer" waren im SED-Staat praktisch überall präsent. Straßen und Plätze trugen ihre Namen. In kurzem Abstand fanden öffentliche Appelle und Ehrungen statt. Überlebende wurden regelmäßig in Schulen eingeladen, um über ihre Erlebnisse während der NS-Herrschaft zu berichten.

Der gezielte Einsatz der meisten sogenannten "Veteranen" richtete sich freilich nicht nur nach ihrem gegenwärtigen Gesundheitszustand, der Dauer ihrer Haftjahre, der Art ihres Widerstandes sowie der Schwere ihrer Verfolgung. Stets waren die Eingeladenen Mitglieder der in der NS-Zeit illegalen Kommunistischen Partei gewesen. Ebenso waren die "Antifaschisten" immer Mitglieder der "Partei der Arbeiterklasse". Daher durfte am Ende ihrer Vorträge nie der Verweis auf die aktuelle politische Situation aus der Sicht der kommunistischen Staatspartei fehlen.

Die DDR brauchte möglichst "reine" Antifa-Legenden

Diese Art der Instrumentalisierung ist seit Mitte der neunziger Jahre bereits gut erforscht und aufgearbeitet worden. Daß jedoch auch dies nur die halbe Seite der Wahrheit ist, belegt nun der junge Historiker Frank Hirschinger in seiner erst vor wenigen Wochen erschienenen Studie "Fälschung und Instrumentalisierung antifaschistischer Biographien". Hirschingers Kernthese lautet, daß zahlreiche Personen, die in der DDR an der Spitze der staatlichen Organisation der antifaschistischen Widerstandskämpfer standen und zum Teil nach 1990 erneut in ähnlichen Positionen aktiv sind, ihre Biographien bewußt gefälscht haben. Dies belegt er anhand einer Reihe konkreter Beispiele aus dem Raum Halle/Saale.

Ziel dieser Fälschungen war es zum einen, nur Personen mit einer festen politischen Positionierung im Sinne des SED-Staates zur Vertretung des offiziellen "Antifaschismus" zu gewinnen, auch wenn deren eigene Biographie - im Unterschied zu denen der Hauptopfer der NS-Diktatur - nur wenig mit diesem Anspruch übereinstimmte. Auf der anderen Seite bedurfte die DDR möglichst "reiner" Legenden und Mythen. Hinweise auf Widersprüche oder persönliche Schwächen durften dabei nicht vorkommen.

Ein Beispiel einer besonders umfassenden biographischen Fälschung ist der Fall Josef (Jupp) Gerats, den Hirschinger bei einer Lesung aus seinem Buch, die am 23. Januar in der Gedenkstätte "Roter Ochse" in Halle stattfand, in den Mittelpunkt stellte. Er erhält zudem eine besondere Brisanz aus der Tatsache, daß Gerats bis heute als Landesvorsitzender des IVVdN (Interessenverband der Verfolgten des Naziregimes) einen der zentralen Köpfe und Ansprechpartner im Bereich der Opferverbände der nationalsozialistischen Diktatur darstellt.

2004 wurde die Ausstellung "Spuren der Hoffnung" in der Hallenser Marktkirche präsentiert. Sie war Teil eines Projekts des Evangelischen Kirchenkreises Halle zum 75. Geburtstag der ermordeten jüdischen Verfasserin der heute zur Schullektüre zählenden "Tagebücher", Anne Frank. In dieser Ausstellung wurde der "Zeitzeuge" Josef Gerats als ein persönlicher Bekannter Franks vorgestellt, welcher zudem von "1933 bis 1945 im Widerstand gegen das Nazi-Regime in Deutschland" gewesen sei.

Nach Hirschingers Recherchen sind diese Angaben in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft: Nachweislich hatte sich Gerats bereits 1938 aus persönlichen Motiven vom organisierten Widerstand gelöst. Zwar will Gerats unter dem Decknamen "Henk 1831" auch weiterhin eine Widerstandstätigkeit geleistet haben. Diese blieb jedoch für Gerats - der sich in einem Aufruf der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten) vom 16. Juli 2004 zudem als "Überlebender des Holocaust" stilisierte - im Gegensatz zu vielen realen Opfern ohne jegliche negative Konsequenz.

Denn in einem Lebenslauf, den Gerats am 27. November 1949 eigenhändig im Zusammenhang mit seinem Aufnahmeersuchen in den VVN verfaßte, gab er an, von 1933 bis 1945 weder politisch noch aus religiösen oder rassischen Gründen verfolgt worden zu sein. Ebenso verneinte er damals ausdrücklich, sich jemals während der Herrschaft der Nationalsozialisten in einem Konzentrationslager, in einer Militärstrafanstalt, einem Arbeits- oder Internierungslager in Haft befunden zu haben.

Als noch problematischer erweist sich der Verweis auf Anne Frank: Die Behauptung, persönliche Kontakte zu ihr unterhalten zu haben, schob Gerats zum ersten Mal nach den politischen Umbrüchen von 1989/90 in seine Biographie ein. In seinen zahlreichen Anträgen, die Gerats zwischen 1945 bis zum Ende des SED-Staates als Nachweise für seine antifaschistische Widerstandstätigkeit erstellte, findet sich kein einziger Hinweis auf Frank, so Hirschinger. Dabei hätte eine solche Information - wenn sie denn wahr wäre - auch in der DDR Gerats' gesellschaftliche Position eher noch weiter herausgestellt denn geschwächt. Auf keinen Fall hätte sie verheimlicht werden müssen.

Die Fälschungen werden selbst heutzutage ignoriert

Im Gegensatz zum regelmäßigen Bezug auf Anne Frank schweigt Gerats heute zu seiner Funktionärskarriere in der Kaderabteilung der SED-Landesleitung und seiner Tätigkeit als Dozent für Gemeinschaftskunde an der Richterschule. In diesen Funktionen erwies sich Gerats laut den von Hirschinger aufgefundenen Archivdokumenten als bedingungsloser Funktionärstyp, der in den früheren Jahren des SED-Staates parteiinterne Säuberungen - insbesondere von den aus der einstigen SPD stammenden höherrangigen Mitgliedern - nicht nur rechtfertigte, sondern zu einem noch schärferen Kampf aufrief.

Trotz alledem genießt Gerats heute nicht nur bei der PDS und seinen Freunden in IVVdN und VVN/BdA nach wie vor eine hohe Autorität. So war Gerats als IVVdN-Landesvorsitzender von Sachsen-Anhalt in die offiziellen Feiern der Stadt Halle zum 60. Jahrestag des 8. Mai 1945 einbezogen, die unmittelbar unter der Leitung von Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler standen. Der Repräsentantenausschuß der Jüdischen Gemeinde in Halle beschloß am 21. Oktober 2004 einstimmig, den mit 2.000 Euro dotierten Emil-Fackenheim-Preis für Toleranz und Verständigung an den IVVdN-Landesverband zu verleihen - sowohl die Oberbürgermeisterin als auch die Jüdische Gemeinde waren bereits Monate zuvor über Gerats' biographische Fälschungen informiert worden.

Welcher historische und politische Sprengstoff sich aus Hirschingers Werk ergibt, zeigte auch die an die Lesung anschließende Diskussion im "Roten Ochsen". Hier wurde Hirschinger in mehreren Beiträgen vorgeworfen, mit seiner Veröffentlichung auch den "Antifaschismus aus lauteren Motiven an den Pranger" zu stellen und damit die "Arbeit gegen Rechtsextremismus" zu schwächen. Zudem mußte sich der Buchautor entgegenhalten lassen, "unwissenschaftlich" gearbeitet zu haben. Dabei präsentieren allein die mehr als 500 teilweise dokumentierten Verweise in den Fußnoten auf nur knapp 200 Seiten ein eher anderes Bild.

Foto: Abteilung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) würdigt NS-Opfer am Buchenwald-Mahnmal bei Weimar: Antifaschistische Instrumentalisierung im Sinne der "Partei der Arbeiterklasse"


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